Seien Sie bloß froh, dass Sie deutschsprachig sind. So brauchen Sie niemals zwischen „imperfekt“ und „perfekt“ zu unterscheiden. Muttersprachler dürfen so reden, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Als „Perfekt“ bezeichnen die Grammatiker eine Handlung, die abgeschlossen ist. Zum Beispiel, wenn Sie gestern im Kino waren und nicht mehr dort sind, ist diese Handlung abgeschlossen…“perfekt“, vervollkommnet.
„Imperfekt“ weist auf eine Handlung, die noch nicht abgeschlossen ist – aber bereits begonnen hat. Wenn Sie, zum Beispiel, gestern im Kino waren und immer noch dort sitzen.
Im Englischen, hingegen, erfährt man durch die Wahl einer Verbform, ob eine Handlung perfekt oder imperfekt ist. „Yesterday I was at the movies (bzw. cinema)“. D.h.: Man ist nicht mehr im Kino. Die Sache ist vorbei. Fertig. Perfekt. Sage ich aber: “I have been at the movies (cinema) since yesterday”, dann ist die Handlung noch nicht abgeschlossen. Unvervollkommnet. Imperfekt.
Alles klar? Mir nicht. Denn die Terminologie der engl. Grammatiker bringt mich total aus dem Konzept. Das mit dem „I was at the movies“ bezeichnen sie nämlich als „simple past“; das „I have been at the movies…“ als „present perfect“.
Was ist dabei so perfekt, frage ich, wenn ich noch immer im Kino sitze? Keine Ahnung.
Auch im Deutschen kann man „ich war im Kino“ und ein „ich bin im Kino gewesen“ sagen. Doch heutzutage ist kaum einer in der Lage, den Unterschied zwischen diesen Ausdrucksweisen vernünftig zu erklären. Man vertraut sein Bauchgefühl halt.
Früher war es anders. Zum Beispiel, als Luther noch gelebt hat (noch lebte?). „Hat denn Gott vergessen gnedig zu sein“ schreibt er in Psalm LXXVII. Dieses „hat vergessen“ bezieht sich auf eine unbestimmte Vergangenheit, ist also imperfekt. „Aber doch sprach ich…“ Hier im selben Psalm ist die Handlung einmalig und abgeschlossen, ist also perfekt.
Perfekt? Imperfekt? Auch die dt. Grammatiker haben sich komische Namen für diese Zeiten ausgedacht. Das Perfekt heißt „erste Vergangenheit“; das Imperfekt hingegen nennt man „perfekt“. Mich laust der Affe. Aber ehrlich.
Harald Weinrich, ein Meister der dt. Grammatik und Autor eines dicken, lesenswerten Wälzers zum Thema mit dem Titel „Textgrammatik der deutschen Sprache“ hat den Unterschied zwischen „ich sah“ (erste Vergangenheit) und „ich habe gesehen“ (Perfekt) folgendermaßen erklärt: Ersteres wird mit Vorliebe in Erzählungen benutzt. Etwa: Er machte die Tür auf, schaltete das Licht ein, schaute in den Raum, und plötzlich erscholl eine Stimme …usw. Zweites benutzt man im normalen Gespräch halt, wenn man über die Vergangenheit erzählen will. „Hallo Frank, stell dir vor, wen ich gestern im Kino getroffen habe.“
Von diesem Erklärungsversuch abgesehen, herrscht im Deutschen sonst nur noch Kuddelmuddel. In manchen dt. Dialekten tritt die erste Vergangenheit kaum noch in Erscheinung. Im Bairischen z.B. In anderen Regionen tut man mehr oder weniger, was man will. Das war aber schon immer (ist schon immer gewesen) das gute Recht der Muttersprachler.
Was wiederum für den Nichtmuttersprachler*Innen zum Problem wird. Englischsprachige, Spanischsprachige, Italienischsprachige usw. werden aus diesem Grund das Geheimnis der dt. Vergangenheit niemals lüften. Denn wir unterscheiden sehr wohl zwischen Imperfekt und Perfekt – egal wie wir sie nennen.
Es könnte aber schlimmer sein. In den slawischen Sprachen wird so streng zwischen Perfekt und Imperfekt unterschieden, dass man zwei unterschiedliche Wörter verwendet, je nachdem, ob eine Handlung perfekt oder imperfekt ist. War (ist gewesen) einer dabei, eine Schachtel zu basteln, sagt der Tscheche „dĕlal krabici“.Will er sagen, dass er eine Schachtel fertig gebastelt hat, dann heißt es „udĕlal krabici“. Die zwei Verben sind zwar eng verwandt, das sind aber „vermachen“ und „machen“ auch. Alles klar?
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein perfektes und ein imperfektes 2016 mit viel Gesundheit und sowohl vervollkommnetes wie auch unvervollkommnetes Glück im neuen Jahr. Ihr Sprachbloggeur
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