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Yelp, Jameda,Lügenpresse und Vergil

Eine Sexstory aus der römischen Antike:

Schauplatz Karthago (heute Tunesien). Der Trojaner Aeneas verbringt einen hübschen Nachmittag mit der Königin von Karthago.

Den ganzen Hintergrund usw. kann man leider nicht in ein paar Sätzen schildern, kurz gefasst aber: Aeneas und seine Leute – sie sind Flüchtlinge aus Troja – steuern Italien an, wo Ae. einer Prophezeiung zufolge ein neues Königreich gründen soll, das eines Tages zum römischen Kaiserreich werden wird.

Aeneas hat Feinde, menschliche und göttliche zugleich, und landet, von Sturmwinden getrieben, in Karthago, wo er von der Königin freundlich empfangen wird.

Wer diese Götter sind, könnte man sich fragen. Aber das ist eine andre Geschichte.

Einer von ihnen jedenfalls, die Göttin Juno, mag Aeneas überhaupt nicht. Eigentlich mag sie keine Trojaner, weil einst einer aus diesem Volk ihre Rivalin, Venus, zur schönsten Göttin auserkoren hatte. Venus ist übrigens die Mutter von Aeneas, der also selbst Halbgott ist. Alles klar?

(Nebenbei: Heute bedeutet „Trojaner“ ein digitales Ungeziefer, das Ihre Festplatte infiziert, wenn Sie es zulassen. Dieser Virus ist nach dem sog. „trojanischen Pferd“ genannt, mit dessen Hilfe die Griechen Troja eroberten).

Aber zurück zu Aeneas, der im Augenblick mit der Königin – sie heißt Dido – gemütlich durch den Wald spaziert. Auf einmal öffnet sich der Himmel, und es regnet Katzen und Hunde. Aeneas und Dido suchen in einer nahegelegenen Höhle Zuflucht. Beide sind pitschnass und…na ja. Eins führt zum anderen…und…der Trojaner, der eines Tages Urvater Roms werden soll und die Königin deren Volk eines Tages Roms Lieblingsfeinde werden sollte, kommen sich näher.

Aeneas ist aber ein verantwortungsvoller Liebhaber und denkt nach der Intimität ernsthaft daran, sich in Karthago niederzulassen, um dort seine Staatsbildungsvision zu realisieren. Die Königin ist, kaum anders zu erwarten, von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.

Juno, die Aeneas-Hasserin, ist zufrieden. Sie meint: Sollte der Ae. die D. heiraten, dann bleibt er Italien fern. Auch Venus ist happy. Welche Mutter freute sich nicht, wenn der Sohn eine so nette Partie mit nach Hause brächte?

Nur: Nun tritt Fama auf den Plan. Auch sie ist eine Göttin. (Das englische „fame“, also „Ruhm“, wird von diesem Namen abgeleitet. Wörtlich aber bedeutet „Fama“ „Gerede“, „Gerücht“, „Geschnatter“). Kaum erfährt Fama vom Techtelmechtel zwischen dem Trojaner und der Königin, wird die Sache überall hinausposaunt.

Eigentlich wäre Diskretion angebrachter gewesen.

„Fama eilt sogleich durch die großen libyschen Städte,
Fama, die schneller noch ist als jegliches andere Übel…“

So heißt es in der schönen neuen Übersetzung der Aeneis vom bekannten Altphilologen Niklas Holzberg. Die Konsequenzen dieses Verplapperns lassen nicht lang auf sich warten…Das finden Sie alles in der neuen Übersetzung selbst heraus.

Mich beschäftigt diese Geschichte momentan hauptsächlich wegen der Rolle von Fama. Denn im Augenblick scheint diese Naturkraft – auch bei uns – sehr aktiv zu sein. Jeder Verschwörungstheoretiker im Netz betet sie an. Jeder Parteigänger harrt ihrer Botschaft. Denken Sie an den Begriff „Lügenpresse“. Ist er nicht ulkig? Der Presse die Lüge zu bezichtigen, könnte auch auf einer Lüge basieren. Oder? Fama halt. Alles durcheinander.

Und denken Sie an Fama, wenn Sie das nächste Mal eine Bewertung (gut oder schlecht) eines Restaurants oder eines Zahnarztes bei Yelp, Jameda und Co. im Internet lesen…

Das ist das Schöne an der antiken Literatur. Vergil würde sagen: „Es war schon immer möglich, cari lectores, auch ohne Internet (et sine tela totius terrae) mit Gerüchten (cum Fama) das Leben aufzumischen (vitam delere).“

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