Mitte letzter Woche las ich in der Münchener Abendzeitung (20.08) folgenden Satz über die Wirkung des Vollmonds auf den Schlaf. Ich zitiere:
"Wenn man nachts aufwacht und sieht den Mond, fühlt man sich in der Theorie des schlechten Schlafs bestätigt.“
Ich persönlich kann auch bei Vollmond gut schlafen. Dennoch gab mir obiger Satz keine Ruhe. Er kam mir falsch vor, und ich hätte ihn am liebsten folgendermaßen umformuliert:
"Wenn man nachts aufwacht und den Mond sieht, fühlt man sich…usw.“
Als ich meiner Frau und meiner Schwiegermutter von meiner Irritation erzählte, zeigten beide zunächst kein Verständnis für mein Problem. Ich weiß auch, warum: Muttersprachler empfinden die Anreihung von "aufwacht und sieht“ als ein Gespann. In der gesprochenen Sprache ist diese Wortstellung sogar häufig. Ich hingegen, der Fremdsprachler, habe das Deutsche als Schriftsprache zunächst gelernt und mühevoll büffeln müssen, um in der Öffentlichkeit passabel auftreten zu können. Kein Wunder, dass ich dazu neige, nach der Schrift zu sprechen.
Inzwischen weiß ich: Es gibt Situationen, wo das Richtigsprechen einfach falsch klingt.
Eben diese Erfahrung hat mein Sohn neulich gemacht, während er einige Tage mit zwei Jugendlichen aus Kanada verbracht hatte. Sein Englisch wirkte auf sie zu perfekt – vor allem, weil er zu wenige Schweinereien verwendete. Sie fragten ihn sogar, ob er "dirty words“ nicht benutzen dürfte. Natürlich dürfe er, erwiderte er. Was er aber nicht bedachte: Die Jugendsprache der Nordamerikaner war ihm tatsächlich fremd, und mein altmodischer Slang hat ihm so gut wie gar nicht geholfen, die nötige Solidarität mit anderen Jugendlichen zu schließen. Sein fließendes Englisch wirkte also zu korrekt – den Umständen also nicht entsprechend.
Um es salopp auszudrücken: Gute Form ist nur die halbe Miete. Und so komme ich jetzt auf Wolf Schneider, bekannten Journalisten und Sprachkritiker, ja gewissermaßen Sprachpapst, zu sprechen. In einem Interview in der dieswochigen Weltwoche greift er die Weicheiigkeit des Duden an, weil die Nachschlagwerke dieses Verlags, de facto "die Fehlleistungen der sprachfaulen Mehrheit zur Norm erhoben“ hätten. Hinzu prangert er die üblichen Sünder gegen das Wort an – etwa schludrige Journalisten, Werbetexter, Internetchatter usw. – und plädiert für einen gepflegten Umgang mit der deutschen Sprache jenseits aller Moden.
Nicht, dass ich kein Verständnis für seinen Missmut habe. Manchmal tut der Missbrauch dieser schönen Sprache wirklich weh. Trotzdem fällt mir auf, dass Herr Schneider kein Optimist ist. Wäre er einer, dann hätte er daran gedacht, dass Sprache eine Selbstreinigungsvorrichtung besitzt. Und diese vermag – beinahe von allein – alles (oder zumindest fast alles), was wirklich dumm ist, zu entledigen. Zudem fällt ein anderes großes Wunder ins Gewicht: Was ehemals dumm klang, entpuppt sich zuweilen als die reinste Eloquenz – ebenso wie das hässliche Entlein aus Andersens Märchen zum anmutigen Schwan geworden ist.
Das weißt ohnehin jeder Latinist, der mitverfolgt, wie sich die Sprache Catulls, Ciceros und Vergils peu à peu in elegantestes Spanisch, Französisch, Italienisch usw. verwandelt. Die Eloquenz ist immer dabei, sich neu zu formieren. Der Nährstoff dieser Wandlung ist manchmal das Fehlermachen.
Add new comment