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E-Bücher: Der Leser als Sklave?

Und? Wie stehen Sie jetzt zum E-Buch? Denken Sie etwa: Die Bäume sollen leben – Bücher ade? Oder ist auch bei Ihnen eine Ernüchterungsphase eingetreten?

Ich, zum Beispiel, habe inzwischen viele Einzelwerke und unzählige Gesamtwerke der Weltliteratur auf meinem längst veralteten Lesergerät gehamstert. Unwichtig die Marke oder das Format. Alle irgendwie ähnlich, ob Kindle, Tolino, Sony, Kobo; ob Epub oder Mobi.

Nebenbei: Freund Fritz spricht den Namen seines Geräts als „KINN-d‘-le“ aus. Zugegeben, er ist geborener Schwabe. Das Ding heißt aber „KINN-d‘ll“. Die meisten Deutsche sagen ebenfalls „EX-ell“, Englisch Sprechende hingegen „ex-SSELL“.

Aber zurück zum Thema. Manche E-Bookleser besitzen kein dediziertes Gerät. Sie lesen ihre E-Books auf Tablet oder Smartphone oder Notebook. Auch das ist möglich. Und man kann auch viel Geld sparen.

Ich hab für meine beachtliche, platzsparende Bibliothek der Weltliteratur fast immer höchstens zwei oder drei Euro, meistens weniger ausgegeben. Nur für mein Gesamtwerk Wallace Stevens (amer. Lyriker), Gesamtwerk T.S. Eliot und Gesamtwerk Allen Ginsberg blechte ich jeweils um die 12 Euro. Für die papierne Ausgabe hätte ich wahrscheinlich einen ähnlichen Preis bezahlt – wenn ich sie gebraucht ergattert hätte.

Aber: Wenn ich will, kann ich jedes Buch, das ich besitze, jederzeit verschenken, verleihen, verkaufen (zumindest theoretisch) oder entsorgen. Kaufe ich mir hingegen ein E-Buch und halt ich mich an den Regeln, dann darf ich mein elektronisches Buch weder verschenken, verleihen (ohne dass ich jemandem mein dediziertes Lesegerät mit ausleihe) noch verkaufen. Denn ein E-Buch wird ausschließlich für meine persönlichen elektronischen Geräte zugelassen. Ich bekomme letztendlich eine Lizenz. Bin ich also Eigentümer meiner E-Bücher? Eigentlich nicht. Ich hab lediglich eine auf Lebenszeit ausgestellte Zulassung so wie wenn ich gewisse Software kaufe. Mehr nicht. Ich kann meine E-Bücher nicht einmal richtig entsorgen – auch wenn ich sie lösche. Denn so lange die Firma, von der ich die Datei lizenziert habe, noch existiert, bekomm ich jederzeit Ersatz. Mein Buch lebt nämlich auf der „Cloud“.

So jedenfalls die Theorie. Wer gewillt ist, der kann freilich jedes E-Buch weitergeben. Er braucht lediglich die Copysperre zu knacken. Dafür gibt es Anleitungen noch und nöcher im Internet. So gesehen, könnte er seine Bücher, wenn er wollte, auch weiterverkaufen – ohne dass er auf das eigene Exemplar verzichten müsste. Das kann man mit einem Buch freilich nicht.

E-Bucher sind äußerst praktisch. Wenn ich verreise, nehm ich mein Lesegerät einfach mit und kann mich beliebig in Kafka, Goethe, Poe, Rimbaud usw. vertiefen. Komischerweise habe ich aber meistens auch ein richtiges Buch und ein paar Zeitschriften dabei, und die lese ich eher. Vielleicht eine Sache der Gewohnheit oder des Alters. Wer weiß.

Neulich hab ich es aber doch noch endlich geschafft, einen Roman digital zu konsumieren. Es war okay das Erlebnis, aber zum ersten Mal fielen mir fürwahr die Unterschiede zwischen Buch und E-Buch auf. Beispiel: Wenn ich ein Buch lese, kann ich mitten im Kapitel blitzschnell bestimmen, wie viele Seiten der Kapitel noch hat. Das kann man auch mit einem E-Buch, werden Sie vielleicht erwidern. Es zu tun aber, ist oft sehr umständlich. Erst muss ich auf eine Taste drücken, um ins Verzeichnis zu geraten. Dort muss ich nach den Seitenzahlen suchen. Wenn ich Glück habe, werden sie dargestellt. Manchmal werden sie aber nicht aufgelistet. In dem Fall, bleibt mir nichts andres übrig, als mit dem „Wischfinger“ Seite um Seite zu „scrollen“, bis ich das Ende des Kapitels gefunden habe. Bisserl zeitaufwendig ist’s schon.

Das andere, was mich stört – aber vielleicht handelt es sich meinerseits um einen Mangel an Angewöhnung – , ist das „Schicksal“ der Seiten, die ich fertiggelesen habe. Ich wische mit dem Finger über das Display und zack! Eine neue Seite tritt in Erscheinung. Doch wo ist die eben fertiggelesene Seite geblieben? Das frage ich mich oft. Natürlich weiß ich, dass ich lediglich in die verkehrte Richtung wischen muss, um sie zu sehen. Trotzdem ist es anders, als wenn man ein Buch liest. Die gelesenen Seiten bleiben, wenn man will, stets sichtbar.

Und dann ist die Sache mit dem Strom. Der Umgang damit erfordert wahrlich ein großes Umdenken. Es fängt damit an, dass jemand, will er lesen, erst die entsprechende Maschine einschalten – sprich „booten“ – muss. Diese Initialisierung dauert immer. Nix Spontanes. Man muss warten – wie beim Rechner – bis die Maschine uns erlaubt, selbst tätig zu werden. Die Maschine hält stets die besseren Karten, sie bestimmt und nicht wir. Zudem: Wenn man „elektronisch“ liest, geschieht das im Bewusstsein, dass sich der Akku peu à peu entleert. Dieses Entleeren geht noch dramatischer vonstatten, wenn man am Tablet oder Smartphone liest. Das heißt: Die Uhr tickt immer, wenn man liest, und das Lesen bleibt unerbittlich mit der Vorstellung eines Verlustes, einer Abschwächung verbunden. Während ein E-Buch die Rolle des willkürlichen Herrschers spielt, bleibt ein Buch aus Papier stets ein treuer Sklave.

Viel Spaß beim elektronischen Schmökern, liebe E-Leser.

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