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Bah! Leck mich an der Kulanz

Es geschah am Wochenende. Endlich wieder ins Museum, ich meine in die Pinakothek der Moderne, die monatelang wegen einer Reparaturarbeit geschlossen hatte.

Doch weil auch ich in letzter Zeit wegen meines lädierten Rückens selbst in der Reparatur war, machte ich mich mit einem Spazierstock auf den Weg in die Pinakothek. Den Stock brauche ich übrigens nicht fürs gehen, sondern allein fürs Bücken und Beugen. Meine Physiotherapeutin will nämlich, dass ich, wenn ich etwas heben will, in die Knie gehe anstatt mich, wie es normale Menschen tun, zu bücken. Da aber auch dieses in die Hocke gehen manchmal wehtut, habe ich den Stock quasi als Stütze. So viel zum Hintergrund.

Den Gehstock habe ich übrigens von Luise, Witwe meines mit 97 Jahren gestorbenen Lektoren, Ernst-Theo Rohnert. „Mein Mann bekam ihn“, so erzählte sie mir, „von einem Bekannten, einem Kunsthändler aus Zürich, Otto Ackermann. Auch er ist mit 97 Jahren gestorben. Vielleicht lebst auch du so lang.“ Ja, es ist ein schöner Gehstock, schlicht und elegant mit einer Spitze aus Metall.

Tagelang war ich mit dem Stock unterwegs. Es hat mich beflügelt, mit der Metallspitze klickklickklick auf dem Bürgersteig zu machen. Und der Stock war geradezu ideal, wenn ich im Supermarkt oder in der Buchhandlung am untersten Regal hinlangen musste. Ja, und alle meinten, ich sehe mit dem Stock so…elegant aus. Ja, das hört man gerne. Schließlich bin ich ja ein bisschen eitel.

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema: Nein, nicht meine Eitelkeit, sondern die Kulanz. Ich war im Museum, war bestens gelaunt und ließ den Stock bisweilen tacktacktack gegen den Betonboden anprallen. Natürlich nur sachte. Schließlich wollte ich das Museum nach der Reparatur nicht kaputtmachen. Der Stock diente bloß als Stimmungsbarometer – wie des Hundes wedelnder Schwanz.

Dann geschah es. Während ich in einem Raum eine Reihe wunderschöner Fotos von William Eggleston bestaunte, sprach mich ein Wächter an: „Sie. So ein Stock ist hier im Haus nicht erlaubt“, sagte er. „Es geht nur mit Gummipfropf.“

Ich gebe zu: Ich war nicht restlos überzeugt, dass es eine solche Hausregel gibt. Das habe ich ihm aber nicht gesagt. Ich hatte keinen Grund, sarkastisch zu sein. Ich erklärte lediglich, dass ich den Stock nicht fürs Gehen brauche, sondern als Stütze für den Rücken und ohnehin tunlichst darauf achte, dass ich damit keine Löcher in den Boden bohre.

Er leierte aber das Gleiche wieder runter, und ich antwortete wieder wie vorhin. Man wiederholt sich gern, wenn man nicht viel zu sagen hat. Und dann passierte es: „Also, diesmal dürfen Sie‘s…aus Kulanz. Das nächste Mal nicht ohne Gummipfropf“, sagte er. War ich glücklich?

Zack! Aus mit der guten Laune. Warum? Weil mich dieses Wort „Kulanz“ irritierte. Ich dachte: Wie kann man etwas als Kulanz bezeichnen, wenn man von sich expressis verbis behauptet, er sei gerade kulant? Meiner Meinung nach ist jemand erst kulant, wenn er nicht behauptet, er sei es. Die „Kulanz“ des Wächters war also, meiner Meinung nach, keine. De Facto hat er mit Konsequenzen gedroht, hat gesagt: „Seien Sie vorgewarnt. Das nächste Mal mache ich Gebrauch von meiner Waffe.“

Und nun machte ich mir zum ersten Mal Gedanken über dieses Wort. Woher kommt es überhaupt? Erste Fantasie: Wahrscheinlich von „Kuli“ (damit meine ich nicht die Abkürzung von „Kugelschreiber“). Jeder „Kuli“ hofft nämlich auf „Kulanz“ – ein Balsam für die Unterdrückten. Zweite Fantasie: Das Wort ist mit dem italienischen und spanischen „culo“ verwandt. Notabene: „Culo“ bedeutet in diesen Sprachen der„menschliche Hinterteil“. Der italiener sagt, wenn irritiert: „Vaffanculo“ (gehe und tue es) in culo“. Die spanische Variante heißt: „Besa (küsse) mi culo“. Kulanz wäre demgemäß die Gnade des Aftermenschen.

Eins steht jedenfalls fest: „Kulanz“ hat nicht das Geringste mit „cool“ zu tun.

Studierte Etymologen werden behaupten, dass dieses Wort vom französischen – „couler“, „fließen“ ins Deutsche hereingeflossen ist. Auf Französisch bedeutet „coulant“ nämlich „nachsichtig“. Ich halte diese Etymologie für nicht mehr zeitgemäß.

Deshalb meine Empfehlung: Sagt einer, er mache etwas aus „Kulanz“, sollte der derart Begnadete folgendermaßen antworten (oder denken): „Danke, o Herr, und leck mich an der Kulanz.“

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