Nein, ich lasse meine gute Laune wegen eines schäbigen kleinen Bandscheibenprolaps L2/3 und einer Spondylarthrose der LWS nicht vermiesen. Ich übersetze: wegen eines Bandscheibenvorfalls (wenn auch ein kleiner) und des Verschleißes meiner Lendenwirbelsäule.
Anstatt über meine scheußlichen Schmerzen zu jammern (Aua! Es tut verdammt weh, egal ob ich sitze, stehe oder liege! Im Ernst) möchte ich als Sprachinteressierter lieber das Phänomen meines Leidens vom linguistischen Standpunkt in Betracht nehmen.
Ich fange mit dem Einfachsten an: mit dem mitleiderregenden Ausruf „Aua“.
Zu bemerken: Diese Vokabel, eigentlich ein Laut aus der Kindersprache, darf man nicht mit AUA (Austrian Airlines) verwechseln.
Meine erste Begegnung mit diesem Wort fand bereits in San Francisco statt – lange bevor ich wusste, dass ich den Rest meines Lebens in Deutschland verbringen würde und dass ich eines Tages als verborgener Held den Namen „Sprachbloggeur“ führen würde.
Ich stellte fest, dass meine deutsche Lebensabschnittspartnerin, wenn sie von akuten Schmerzen heimgesucht wurde, „Aua!“ ausrief. Mir kam diese Vokabel irgendwie niedlich vor – ein bisschen weiblich (vielleicht weil das Wort mit „A“ endet) und sehr wehleidig –verweichlicht halt – verglichen mit unserem testosteronträchtigen amerikanischen Ausruf: „Ow!“. Ruft man „ow!“ aus, hören alle die Notlage heraus. Unser„Ow“ (als „au“ auszusprechen) klingt männlich, vollblutig, erwachsen. Es ist eindeutig in der Aussage. Ich glaube, dass „Aua“ unter seiner Zweisilbigkeit leidet. Sie nimmt wohl von der Unmittelbarkeit des Schmerzempfindens ab.
Übrigens: Unsere virile amer. Sprache verfügt über eine zweite Schmerzbekundung: „ouch!“, das – von der Aussprache her –dem dt. „autsch!“ gleicht. Denkbar ist, dass das dt. „autsch“ Denglisch ist. Ich habe dies aber nicht recherchiert. „Ouch“ teilt – mir jedenfalls– ein anderes Kaliber des Schmerzemfindens als „ow!“ mit. „Ow“-Schmerzen erscheinen mir allemal intensiver. Ein wahrer Leidender kann endlos „ow“ schreien: o-o-o-o-w-w-w—w-w! „Ouch“ ist staccato, beschreibt einen plötzlichen Schmerz, der schnell wieder vergeht.
Ich will hier aber keine Doktorarbeit über „ow“, „aua“ und „ouch“ schreiben. Mein eigentliches Thema ist nach wie vor mein lädierter Rücken – und zwar im sprachlichen Sinn. Besagtes Aua fing vor zehn Tagen an – traf mich aus dem heiteren Himmel wie der Schlag: Ich hatte mich gerade gebückt, um einen Stoffbeutel (etwa 300g) zu heben und zack! Gleich schoss die Hexe.
Übrigens: Ich mag den Begriff „Hexenschuss“ sehr. Die englische Sprache kann mit Gleichwertigem nicht aufwarten. Schade, dass die Erinnerung an Generationen von unschuldig gequälten Frauen dahinter steckt: die Schicksale von Frauen, die wegen des Körperverschleißes anderer angeprangert und bisweilen aufgeheizt wurden. Großes Aua. Man vergisst diese Epoche gerne, wenn man heute von seinem „Hexenschuss“ berichtet.
Ein schmerzliches Wort und trotzdem mag ich es, weil so bildhaft. Ich wollte Freunden in den USA mitteilen, dass ich einen Hexenschuss hatte. Mir fiel aber keine adäquate Übersetzung ein. „Lumbago“ (sprich „lumm-bäj-go) steht im Wörterbuch. Doch, „lumbago“ klingt mir irgendwie zu altbacken – etwas, das alte Männer mit Urinflecken an der Hose sagen, um auf ihre chronische Rückenschmerzen aufmerksam zu machen: Ouch, I have a touch of lumbago today.
Zum Glück konnte mir meine Babysitterin, Ethel, eine passende Übersetzung für „Hexenschuss“ unterbreiten: „back spasms“. Glauben Sie mir: Das klingt auf Englisch genauso quälend wie „Hexenschuss“ – nur anders.
Aber zurück zum „Bandscheibenvorfall“. Als ich diese Vokabel vor vielen Jahren zum ersten Mal zur Kenntnis nahm, war ich nicht besonders davon beeindruckt. Come on, liebe Deutsche, dachte ich, es gibt bestimmt eine vollmundigere Weise, dieses unangenehme Leiden zu schildern. „Bandscheibenvorfall“ klingt…ja… so höflich, so verdammt blutarm. Wenn ich an einen „Vorfall“ denke, stelle ich mir vor, dass man auf eine vorsichte Weise von einem kleinen, dummen Ereignis erzählen will. Das Kind verschüttet seine Milch. Die Lehrerin teilt dies der Mutti als einen „Vorfall“ mit. Jemand hat auf dem Markt Äpfel gestohlen. Wieder ein „Vorfall“. Rufen Sie die Polizei! Sollen diese unausstehlichen Schmerzen, die ich erleide, ein Vorfall sein? Lieber sage ich allen: „Ich habe ein Rückenaua.“
Auf Englisch heißt dieses scheußliche Leiden schlicht und einfach „slipped disk“. „Disk“ ist gleich „Bandscheibe“. „Slipped“ gibt die grausame Wahrheit wieder: Diese disk hat sich verrutscht. O-o-o-w-w-w! Bitte, liebe Deutsche, schenken Sie mir zu Weihnachten ein anderes Wort für „Bandscheibenvorfall“.
Dies verlangt einer, der dabei ist, bei bester Laune zu verschleißen.
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