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Die lädierte Wassermelone: Bekenntnisse eines überzeugten Migrantlers

Hallo, liebe deutsche Muttersprachler. Ich bin’s, der migrierte Jammerlappen, der schon wieder feststellen muss, dass er diese Fremdsprache, die für die meisten von Ihnen Muttersprache ist, niemals perfektionieren wird.

Im Gegenteil. Immer wieder die Überraschungen…

Zum Beispiel das schöne Wort „mitunter“.

Jahrzehnte lang benutze ich es im Sinn von „unter anderem“ oder„darunter“. „Mitunter“ erschien mir wie ein „Darunter“, das man zu einem besonders vornehmen Anlass verwendet.

Hier meine Fantasie:

1.) Die schnöde Art: „Wisst ihr: Ich war letzte Woche in einem tollen all-you-can-eat-Restaurant und habe echt zugeschlagen. Die Auswahl war wahnsinnig, darunter gab es auch leckere Chicken Wings. Mampfmampf “

2.) Die vornehme Art: „Wissen Sie: Ich besuchte letzte Woche ein vorzügliches à-discrétion-Restaurant und habe köstlich gespeist. Die Auswahl erschien mir uferlos, mitunter fand man auch vitello tonnato. Ausgezeichnet!“.

Ja, ich war fest davon überzeugt, dass „mitunter“ ein „darunter“ mit edlem Stammbaum war. Keine Ahnung, wie ich auf diese Idee gekommen bin. Und so habe ich dieses Wort jahrelang gebraucht – sicherlich des Öfteren auch in den Beiträgen dieser Glosse…bis mich neulich jemand endlich korrigierte.

Diese Ignoranz verfolgt mich seit der Anfangszeit meiner Auseinandersetzung mit dieser mir fremden Sprache. Einst, zum Beispiel, war ich aus Gründen, die mir heute unerklärlich sind, überzeugt, dass „kassieren“ ein besonders schickes Synonym für „zahlen“ war.

Ich saß mit meiner damaligen Lebensabschnittspartnerin in einem Restaurant. Wir wollten zahlen und konnten die Aufmerksamkeit des Kellners nicht bekommen. „Sag ihm, dass wir zahlen wollen“, sagte meine Lebensabschnittspartnerin zu mir.

Ich erhob mich und zwang mich durch das Gedränge, bis ich unseren gestressten Ober endlich festsetzte. „Ummm. Ich möchte kassieren, bitte“, sagte ich und war besonders stolz auf mich, dass ich so einen feinen Satz formuliert hatte.

Er wiederum schaute mich skeptisch an und antwortete: „So so. Sie möchten kassieren, aber sie dürfen‘s nicht. Sie dürfen nur zahlen.“

Wenn man eine Fremdsprache lernt, wird man irgendwie wieder zum Kind. Nur: Kinder erleiden keine Schmach, wenn sie Sprachfehler machen. Im Gegenteil. Sie vergessen das Erlebnis alsbald und meistern ihre Muttersprache wie auf Autopilot. Ich hingegen, der ich diese Sprache erst als Erwachsener lernte, trage meine sprachlichen Unzulänglichkeiten wie Narben mit mir herum. Sie bleiben, so denke ich in Augenblicken des Selbstmitleides, jedem sichtbar.

Heute, zum Beispiel, war im Supermarkt und begutachtete die Wassermelonen. Bei einer Melone visierte eine weiche Stelle, in deren Mitte ein dunkles, kleines Loch in der Rinde sichtbar war. Ich sah, wie die Obstfliegen an diesem Loch rein und raus drängten wie Menschen in der U-Bahn zur Stoßzeit. Es war nicht gerade appetitlich.

Nachher stand ich an der Kasse und wollte der Kassiererin diesen Anblick mitteilen. Ich sagte ihr, während ich mit dem Finger zeigte: „Da drüben ist eine ziemlich lädierte Wassermelone. Die Obstfliegen schwärmen da rum. Es sieht wirklich ekelhaft aus.“

Sie hielt kurz inne, bevor sie antwortete: „Sie meinen, dass eine Wassermelone kaputt ist?“

„Ja“, sagte ich, „es sieht sehr unappetitlich aus.

Sie bedankte sich für die Info. Erst dann fiel mir auf, dass sie Schwierigkeiten mit meiner Mitteilung hatte, weil ich „lädiert“ anstatt „kaputt“ sagte. Sie musste meine Aussage erst „übersetzen“. Doch mir wollte das Wort „kaputt“ in dem Augenblick partout nicht einfallen. Nur „lädiert“ bot sich als Möglichkeit an, was in der Situation wohl irgendwie komisch klang.

Muttersprachler suchen stets nach dem einfachsten Weg, wenn sie etwas ausdrücken. Migrantler sind froh, wenn sie überhaupt einen Weg finden.

Also: Keine Fremdsprachen lernen? Das Smartphone oder Google-Übersetzer alles erledigen lassen, wenn man sich in einer Fremdsprache verständigen will?

Natürlich nicht, liebe Muttersprachler. Heimatlich in einer Fremdsprache zu werden, ist eine wahre Herausforderung. Ein Abenteuer. Und irgendwie ist der Ausblick, wenn man zwischen den Sprachenstühlen sitzt, einmalig, wirklich einmalig. Und noch dazu: Man lernt in der Zweitsprache jedes Wort ganz persönlich kennen…eins nach dem anderen…

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