Eigentlich müsste ich heute noch in Deckung bleiben. Ich meine wegen der Terrorwarnung. Sie wissen schon: die weltweite Terrorwarnung für Amerikaner (und diverse Andere - in meiner Gegend sieht man seit Tagen kaum einen auf der Straße).
Wir Amerikaner bekamen nämlich – ausgenommen öffentliche Figuren – Hausarrest. Ja wirklich. Kein Witz. In Deckung gehen, hieß es. Man befürchtete das Schlimmste: al Kaida: 1 – USA: 0.
Schon letzte Woche erhielten wir den ominösen Befehl – wie gewöhnlich über den implantierten Mikrochip (befindet sich subkutan in der linken Achselhöhle – empfohlen im Sommer: keine Achselhöhlenrasur; die Narbe soll unsichtbar bleiben). Bei der neuerlichen Hitze aber juckt die Stelle wie wahnsinnig. Kratzen ist aber ein no no .
„Mayday Mayday“, lautete es auf einmal. Ich denke, es war am letzten Mittwoch. Oh-oh, habe ich gedacht. Im Bauch ein ungutes Gefühl. Fakt ist: Wir erhalten „Mayday“-Meldungen äußerst selten. Der Chip dient hauptsächlich, um uns an den Abgabetermin für unsere amer. Steuererklärung zu erinnern. Vielleicht wissen Sie es nicht: Amer. Staatsbürger (auch wenn sie noch nie in Amerika gelebt haben und der amer. Sprache gar nicht mächtig sind) sind weltweit verpflichtet, jährlich eine Steuererklärung abzugeben. Darüber hinaus müssen wir bis Ende Juni jedes Jahr unseren FBAR einschicken. Das heißt: „foreign bank account report“, einen Bericht über die laufenden Beträge in unseren ausländischen Bankkonten. Zuwiderhandlungen werden mit einer Gefängnisstrafe oder einem sehr dicken Bußgeld geahndet. A word to the wise. Nebenbei: Man kann mit dem Chip auch Fox-TV empfangen – selbstverständlich mit Werbung.
Falls Sie den Begriff „Mayday“ nicht kennen, biete ich folgende sprachhistorische Erklärung: Das Wort hat mit einem Tag im Mai nichts zu tun, ist vielmehr eine Verballhornung des französischen: m’aidez: helft mir!
Meine Frau steht als Deutsche nicht unter Hausarrest (soweit ich weiß), ist sogar auf die Auer Dult gegangen. Ich habe ihr gesagt: „Warte nur. Auch ihr bekommt mal eure Chips!“ Sie hatte aber mit mir Mitleid und kaufte mir Beeren und Haferflocken für mein Müsli und eine Foto-Zeitschrift, um mir eine kleine Freude zu machen. Ja, so was tröstet auch. Den Hausarrest vertrage ich, die Hitze aber nicht, denn die Wärme staut sich in der Wohnung. Trotzdem wollte ich keine Risiken eingehen. Man weiß nie, wer da draußen auf der Straße steht – und damit meine ich nicht unbedingt al Kaida. Heutzutage weiß man nie, wer einen (be)schattet*. Vielleicht trägt er eine Google-Brille und macht ganz unauffällig Fotos von mir. Damit kann er beweisen, dass ich das Haus trotz Verbot verließ. Das wäre mir zu riskant.
Aber ich schreibe all dies nicht nur, um mich über meine momentane Lage zu beklagen. Schließlich sollte man alles mit Fassung tragen. Und ich weiß, dass meine Regierung es mit mir gut meint. Außerdem: Heutzutage scheut man gern das Restrisiko – auch aus Kostengründen. Würde mir tatsächlich was zustoßen, könnte ich nämlich verklagen. Und dass könnte der Regierung echt was kosten, mein lieber Scholli.
Wahrscheinlich ist es ohnehin erlaubt, ins Internet zu gehen. Wahrscheinlich darf ich auch diese Glosse schreiben. Schließlich herrscht bei uns free speech.Wenn es im Netz Funkstille gäbe, würden die „Social Networks“ auf die Decke gehen, und schließlich haben sie ein mächtiges Lobby.
Außerdem habe ich einen besonderen Grund heute, diese Glosse schreiben zu wollen. Ich will nämlich etwas mitteilen, worauf ich besonders stolz bin: Ich habe nämlich während des Hausarrests ein neues deutsches Wort erfunden. Ja. Ein nagelneues deutsches Wort, das – meiner Meinung nach – so schön ist, dass ich mich frage, warum es nicht schon längst erfunden wurde: verhasslieben. Es klingt so, als hätte es diese Vokabel schon immer gegeben. Gell?
Es gibt übrigens in der gesamten deutschen Sprache kein einziges Wort, das den Sinn meines Wortes so knapp zusammenfasst wie „verhasslieben“. (Ich habe es gegoogelt: Sprachbloggeur 1: Google 0).
„Mag sein“, sagte meine Frau, „es gibt aber ‚Hassliebe‘. Dein Wort ist nicht so ganz neu.“
„Aber keiner hat daraus ein Verb gemacht“, entgegnete ich.
Ja, vielleicht hat ein Hausarrest tatsächlich seine gute Seite. Ohne diese Zeit in der stickigen Wohnung wäre ich vielleicht nie auf mein neues Wort gekommen. Man könnte sagen, dass ich meinen Hausarrest verhassliebe!
Aber alles ohnehin nur halbschlimm. Gerade eben hat es in der Achselhöhle vibriert. Nun ist es offiziell: Das Mayday wurde aufgehoben, und Ich darf weiterhin ganz normal leben.
*Siehe Kommentar
Add new comment