Die Mail traf am Sonntag ein. Der Schock hielt ca. anderthalb Sekunden an.
Normalerweise bekommen ich am Sonntag kaum Emails – außer der, die mir ziemlich regelmäßig meine Babysitterin a.D. in New York sendet. Ja, meine Babysitterin.
Kurzes Flashback: Als sie ca. 13 Jahre alt war, habe ich ihr eines Nachts die Hölle heiß gemacht. Ich war vielleicht drei Jahre alt und hatte Kopfweh. Ich schrie unentwegt. Selbstverständlich war ich unfähig, die Ursache für mein Unbehagen mitzuteilen. Das arme Mädchen war total überfordert und holte endlich ihren Vater. Er trat an wie ein deus ex machina, nahm mit äußerster Ruhe und Autorität das Ruder in die Hand. Kaum stellte er mir Fragen, so habe ich mich auch beruhigt. Ich ging mit ihm ins Bad, wo er eine Aspirin-Tablette spaltete (damals war die Auswahl an Medikamenten sehr bescheiden) und mir die Hälfte verabreichte. Alles war schnell wieder gut.
Aber zurück in die Gegenwart. Denn ich will vom Schock erzählen, die ich am Sonntag erlebte – auch wenn er nur anderthalb Sekunden anhielt.
Im „Inbox“ meines Mailprogramms fand ich eine Email von „Domain Services“ vor: in englischer Sprache geschrieben. Es schien eine Mahnung, eine „Final Notice“ an den Sprachbloggeur zu sein. Er sollte seine „Domain“-Kosten begleichen, und zwar sofort: 75$ für ein Jahr, 119$ für zwei Jahre… 499$ für eine lebenslange „Domain“-Berechtigung.
Erster Gedanke: Hmmm…oder besser Hmmm?
Nach anderthalb Sekunden aber der zweite Gedanke: Gute Nacht! Schon wieder diese Internetgauner! Diese Schlussfolgerung fiel mir ein, weil der Absender dieser scheinbar hehren Verwaltungsorganisation der Internet-Domains lautete „hotmail.com“ und nicht „domains.org“ oder so etwas Seriöses.
Prompt benachrichtigte ich meinen Provider – möge ihm und seinem Server beiden ein langes Leben gegönnt sein – über die Aufforderung der „Domain Services“. Ich bin nämlich nicht sein einziger Kunde. Vielleicht wurde der ganze Server „bespammt“, sinnierte ich. Nein, „Aufforderung“ ist hier das falsche Wort. Denn der Urheber der dämlichen Mail bezeichnete sein Schreiben als „Solicitation“. „Solicit“ auf Englisch ist kein Auffordern, sondern ein Erbeten. „Solicitations“ machen, z.B., e.V.‘s, wenn sie Bettelbriefe in die Welt schießen. Lässt man sich auf eine „Solicitation“ ein, so ist das stets freiwillig (auch juristisch gesehen), und man könnte für die geleistete Zuwendung theoretisch eine Spendenquittung verlangen. Da sich aber die „Domain Services“ in New York City befinden – das nehme ich an wegen der Fax-Nummer, die auf der „Final Notice“ zu lesen steht, konnte ich wohl kaum mit einer Spendenquittung rechnen.
Bis heute übrigens lebt meine Babysitterin in New York City. Nein, sie steckt nicht hinter diesem Schmu.
Das Hübscheste in der „Final Notice“ war im Kleingedruckten zu lesen: Demnach bekomme ich nach 30 Tagen mein Geld zurückerstattet, falls ich mit der Dienstleistung der Organisation nicht zufrieden bin. Damit gewinnen die „Domain Services“ Sympathiepunkte. Man wittert ganz stark das abgebrochene Jurastudium eines der Phisher oder Spammer.
Unsympathisch hingegen ist die Drohung der Jungs, diese Seite, falls das Geld nicht sofort eingezahlt wird, auszuschalten. Habe natürlich nichts bezahlt, bin trotzdem noch da.
Was die Boys bei „Domain Services“ at Hotmail dot com wohl nicht wissen: Schon Dante hat sich vor etwa 800 Jahren eine Strafe in der Hölle für die „Domain Services“ ausgedacht – schrecklicher als jede Tortur, die ich meiner Babysitterin einst aussetzte. Bei Dante heißt es – und hier übersetze ich aus der „terza rima“ des Originals: dass die Betreiber von „Domain Services“ für jede geschickte Mail noch ein Millimeter tiefer in einem Kotgraben versinken.
Mag sein, dass das nicht wie eine schreckliche Strafe klingt. Doch zehn Mails sind gleich ein Zentimeter. Einhundert Mails bedeuten zehn Zentimeter. Nach ein Tausend „Solicitations“ stecken die Jungs der „Domain Services“ bereits ein Meter tiefer in der Kacke.
Ich möchte nicht daran denken, was passiert, wenn „Domain Services“ zehntausend „Solicitations“ verschickt.
Ich gebe zu: Viele Menschen glauben heute nicht mehr an die Hölle oder an eine höllische Strafe. Aber seien Sie ehrlich: Würden Sie gerne die Plätze tauschen mit den Betreibern von „Domain Services“?
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