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Die Fremdsprache als Fahrt auf der Titanic – eine Klage

Kennen Sie das neue Buch vom tschechischen Ökonomen Tomáš Sedláček: „Die Ökonomie von Gut und Böse“? Hier keine Schleichwerbung, obwohl der Mann nicht auf den Mund gefallen ist. Ich habe das Buch ohnehin nie gelesen, lediglich ein Interview mit dem Autor. Meine Überlegungen sind vielmehr sprachlicher Natur. Es geht um den Titel.

„Wieso heißt das Buch ‚Die Ökonomie von Gut und Böse‘“, fragte ich, „und nicht ‚Die Ökonomie von Gutem und Bösem‘ oder ‚Die Ökonomie vom Guten und Bösen‘“?

„Weil“, erwiderte meine Frau, geduldig wie immer, „ ‚Gut und Böse‘ ein stehender Begriff ist. Es klingt einfach besser.“

„Ich wusste, dass du so antworten würdest. Dennoch bin ich überzeugt: Würde ich ein Buch mit diesem Titel schreiben, hätte ihn mir ein fleißiger Lektor aus grammatikalischen Erwägungen gestrichen. Nur Muttersprachler dürfen sich Freiheiten mit der Sprache erlauben.“

„Der Autor ist aber kein Deutscher. Er ist Tscheche.“

„Dann hat sich einer im Verlag den Titel ausgedacht.“

„Kann ich nicht sagen.“

Nein, hier kein Anfall der Larmoyanz. Trotzdem werde ich nie vergessen, was mir ein Textchef, als wir über Formulierungen feilschten, einst einschärfte: „Schließlich ist es unsere Sprache, Herr Blumenthal.“

Inzwischen bin ich überzeugt, dass zwei Richtsätze gelten: einer für die Muttersprachler: einer für die Schwiegermuttersprachler. Ein ganz anderes Beispiel: Wenn ich mir gönne, ein keckes „drauf“, ein lockeres „stehn“, ein umgängliches „rum“ (anstelle von „herum“) in einem Text zu schreiben, werden mir solche stilistische Freiheiten meistens gestrichen.

Freundin H., einer großartige Schriftstellerin, zeige ich manchmal meine bereits ausgebesserten Text. Einmal sagte sie: „Dein Deutsch hört sich manchmal zu gut an, es wirkt brav, lebt nicht. Vielleicht wäre es doch besser, wenn du Englisch schreibst. Da wirst du bestimmt lockerer.“

Ein richtiges Dilemma, aber dies ist nur die halbe Geschichte. Denn, um ehrlich zu sein: Manches werde ich in der Schwiegermuttersprache nie meistern. Zum Beispiel das mit dem Genus. „Verlasse dich auf deine Gefühle“, empfahl mir einst Kollege Th., „Dann wirst du von allein jedes Wort richtig erfassen.“

Ha. Wenn Th. nur wüsste. Hier einige Beispiele meines Sprachgefühls: Fangen wir mit „Aufruhr“ an. Mein Gefühl, auf das ich mich verlassen will, möchte DIE Aufruhr schreiben. Das ist aber falsch. Aber warum falsch? Immerhin heißt die Krankheit, die den Darm in Aufruhr versetzt, DIE Ruhr. Oder „Motor“. Für mich eindeutig ein DAS Motor. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich verlasse mich einfach auf meine Gefühle. Oder „Kissen“. Dieser gemütliche Polster ist für mich ein DER. „DER Kissen“ klingt so richtig in meinen Ohren wie „DER Baum“. Wieso muss es ein DAS sein? Und wieso ist „Zucker“ ein DER und kein DAS. DAS Zucker hat was Süßes, finde ich jedenfalls.

Wäre ich Deutscher, würde jeder sagen, wenn ich „DIE Aufruhr“ schreibe: „Das ist offenbar seine Tradition. Immerhin: Der Bayer sagt „DER Butter“, und keiner meint, das sei komisch. Dialekt halt. Und bedenken Sie: Bis heute haben sich Deutsche nicht geeinigt, ob „Email“ ein DIE oder DAS ist. Mein Schweizer Freund René sagt stets „DAS Email“. Auch Karl, ein feinfühliger Gelehrter, betrachtet seine Email als ein DAS. Ich, der ängstliche Konformist, bleibe bei „DIE Email“, weil ich es so gelernt habe.

Nein ich erwarte keine klärenden Worte. Heute habe ich einfach das Bedürfnis, meine sprachliche Frust von der Seele zu schreiben, wobei ich lediglich an der Oberfläche gekratzt habe. Die Lage ist viel schlimmer. Die Unsicherheiten sind tief wie ein Eisberg. Bei jedem Gespräch fühle ich mich wie auf der Titanic.

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