[Alles noch nicht ganz in Butter, liebe Leser. Als ich feststellte, dass dieser Beitrag auf dieser Seite viermal in Folge zu lesen war, nahm ich mir vor, die "Wiederholungen" zu löschen. Stattdessen habe ich den Text insgesamt gelöscht. Nun erscheint er wieder. Wiederholung. Hmmm. Übrigens: Das Jammern im Text bezog sich lediglich auf die Unmöglichkeit - von der kaputten Software des Servers verursacht - , Kommentare zu empfangen. Das sage ich hier in eigener Sache.]
Ich habe seit Wochen keine Kommentare empfangen.
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Keine Sorge, liebe Leser, ich drehe nicht durch – zumindest nicht über das übliche Maß hinaus. Ich will lediglich durch dieses konkrete Beispiel, etwas über den Erzählstil der Pirahã veranschaulichen. „Pirahã“, sollte ich vielleicht erklären, ist der Name eines Stammes im tiefsten Amazonasgebiet in Richtung bolivischer Grenze. Der ganze Stamm zählt nur wenige hundert Seelen, die in verschiedenen kleinen Dörfern entlang eines kleinen Flusses nahe dem Madeirafluss verteilt sind.
1977 ließ sich der amerikanische Missionar Daniel Everett mit Familie in einem dieser Dörfer nieder. Der Plan war, dieses Urvolk zum Christentum zu bekehren. Everett lebte bei den Pirahã über die nächsten Jahrzehnte insgesamt sieben Jahre. Dennoch vermochte er ihnen die christliche Religion nie zu vermitteln. Am Schluss legte er sein Amt als Missionar (aus Überzeugung) nieder. Er und nicht der Stamm wurde zum Bekehrten. 2008 veröffentlichte er in englischer Sprache ein sehr spannendes Buch über die Pirahã: „Don’t Sleep, There are Snakes“ (dt. Ausgabe: „Das glücklichste Volk: sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas“).
Bitte erwarten Sie hier keine Bücherrezension, nicht einmal eine Analyse der seltenen Sprache der Pirahã, die, z.B., nur eine Verbalzeit kennt: die Gegenwart. Alles dreht sich für dieses Völkchen um die Gegenwart. Stirbt einer von ihnen, hört man bald auf, über ihn zu reden, als hätte es ihn nie gegeben. Everett zufolge kennen die Pirahã außerdem weder Mythen noch Riten – sie haben also praktisch keine uns nachvollziehbare Religion, eine Tatsache, die eine eventuelle Bekehrung zum Christentum zusätzlich erschwerte. Dafür erkennen sie eine Geisterwelt an, die ihnen aber stets gegenwärtig ist. Alle konnten Geister sehen, nur Everett nicht.
Doch hier möchte ich nur über den Erzählstil der Pirahã berichten. Hier dann ein Beispiel aus einer Erzählung eines gewissen Kaaboogí, der seinen Nachbarn mitteilen wollte, wie er einen schwarzen Panther erlegt hatte. Alle Leute waren lose um ihn versammelt. Die Geschichte beginnt damit, wie der Panther seinen Hund überfällt. Ich zitiere:
„Hier sprang der Jaguar auf meinen Hund und tötete ihn. Da sprang der Jaguar auf meinen Hund und tötete ihn. Es geht hier um mich. Da tötete der Jaguar meinen Hund. Er sprang auf ihn. Es geht um meinen Hund. Der Jaguar sprang auf meinen Hund. Ich dachte, ich sehe ihn. Dann ich…, also der Panther sprang auf meinen Hund. Dann sprang der Panther auf meinen Hund. Dann sprach ich. Das hat der Panther getan. Dann sprach ich über den Panther. Hierhin ist es gegangen. Ich denke, ich sehe, wo es gegangen ist…“
Das ist nur der Anfang dieser spannenden Geschichte. Zumindest für die Pirahã spannend. Uns kommt es vielleicht mit den vielen Wiederholungen wirr vor. Vielleicht. (Übrigens: Leider kann ich nicht erklären, warum Kaaboogí mal vom Jaguar mal vom Panther redet – ebenso wenig verstehe ich, wieso hier im Text Vergangenheitsformen auftauchen. Aber egal). Es ist das ständige Wiederholen, das mich hier interessiert. Das ständige Wiederholen interessiert mich.
Warum wird so massiv wiederholt? Warum so massiv?
Man braucht sich nur die Situation vor Ort zu verbildlichen: Kaaboogí steht vor der gesamten Dorfgemeinschaft und erzählt. Hört jeder aber hin? Manche sind mit anderen Dingen beschäftigt. Manche hören gar nicht zu. Manche ratschen. Der Erzähler wiederholt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er wiederholt, damit man zuhört. Er wiederholt, weil er aufgeregt ist. Er wiederholt, damit man das Wichtigste nicht verpasst.
Als ich die Geschichte von Kaaboogí und seinem Panther zum ersten Mal las, fand ich sie sehr langatmig. Denn so wird bei uns nicht erzählt. Oder? Hmmm. Zumindest nicht in der Schriftsprache (oder selten). Doch manchmal beobachte ich mich, wie ich mich, wenn ich rede, wiederhole – vor allem, wenn es um die Pointe geht – oder wenn mir eine Idee besonders wichtig ist oder toll vorkommt, oder ich aufgeregt bin. Wirklich. Machen Sie selbst den Versuch, und dann fragen Sie sich: Bin auch ich ein Pirahã? Die Antwort mag überraschen.
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