Mit Hand auf Herzen verspreche ich, dass dies das letzte Mal ist, dass ich das leidige Thema „verschwinden in die/der Wolke“ bespreche. Denn nun habe ich das Problem endlich gelöst. Wirklich.
Meine Begeisterung im letzten Beitrag war leider etwas verfrüht. Zur Erinnerung: Ich wollte dort erklären, warum ein Flugzeug im Deutschen nur „in der Wolke“ und nicht „in die Wolke“ verschwinden kann (obwohl ich selbst nicht ganz überzeugt war, dass es so ist). Doch dann bekam ich zwei ausführliche Kommentaren zum Beitrag: einen von langjähriger Leserin Lola und einen von Anonym. Beide erläuterten, dass sowohl „das Flugzeug verschwindet in die Wolke“ wie auch „das Flugzeug verschwindet in der Wolke“ richtig seien, Es hänge nur davon ab, ob das Flugzeug in die Wolke hineinfliege oder schon drinnen sei – was auch mein ursprünglicher Standpunkt war.
Diese Erklärung ist auch logisch. Nicht anders als wenn man sagt, „er geht ins Zimmer“ und „er ist im Zimmer“.
Doch warum sind manche fest davon überzeugt, dass nur „das Flugzeug verschwindet in der Wolke“ zum guten Ton zählt?
Nach Erscheinen meiner Glosse ging ich ins Paradies. Sie wissen schon: mein Lieblingsgemüseladen, wo diese Woche die sizilianischen Pfirsische himmlisch schmecken – und nur zwei Euro fünfundneunzig das Kilo kosten! Ein Herbstwunder.
Ich hatte schon Diverses (mitunter ein Kilo sizilianische Pfirsische) auf den Ladentisch gelegt und die Rechnung schon bezahlt. Frau M. war dabei, mir die Sachen in meiner mitgebrachten Einkaufstasche zu verstauen (notabene – in „meiner“ und nicht in „meine“). Nun fragte ich: „Liebe Frau M., ist Ihre Hand gerade in der oder in die Tasche verschwunden?“
„In der Tasche“, antwortete sie spontan.
Ein krasser Widerspruch zu der Meinung von Lola und Anonym.
Wohl merkte mir Frau M. das Unbehagen an. „Aber wir können auch die anderen hier im Laden fragen“, schlug sie gutmütig vor –– und wandte sich an eine in der Nähe stehende Kündin. „Ist meine Hand gerade in die oder in der Tasche verschwunden?“
„In die Tasche“, antwortete die Kündin selbstbewusst.
„Und was meinen Sie?“ fragte Frau M. eine andere Kündin.
„In die Tasche.“
„Oje“, sagte ich. „Jetzt bin ich völlig durch den Wind. Auch ich würde lieber ‚in die Tasche’ sagen.“
„Oje“, sagte Frau M., „Ich verstehe kein Deutsch mehr. Vielleicht ist mein ‚in der Tasche’ nur Bayrisch?“
Pure Konfusion im Laden, als ich mit meinen leckeren sizilianischen Pfirsischen nach Hause ging. Zuhause fragte ich nun meinen Sohn, ob das Flugzeug, wenn es die Wolke anpeilt, in die oder in der Wolke verschwunden sei.
„In der Wolke“, antwortete er nach kurzem Überlegen.
Gleiche Antwort bekam ich am Abend von meiner Frau.
Nun blieb mir nichts anders übrig. Ich rief meinen Sprachguru an, der gerne namenlos bleiben möchte und sich momentan in der Reha befindet. Es geht ihm übrigens viel besser. Ich schilderte ihm das Problem mit dem Flugzeug und der Wolke. „In der Wolke“, sagte er. „Das ist eindeutig. Ich weiß, du denkst an die Bewegung, die im Deutschen normalerweise durch den Akkusativ ausdrückt wird, aber eine Sprache ist nie ganz logisch konstruiert.“
Nun erläuterte ich ihm meine Theorie, dass das „Verschwinden“ fürs deutsche Ohr als Zustand zu verstehen sei.
„Klingt vernünftig“, erwiderte er, man merkte, dass er auf seinen Zauberlehrling stolz war, „Aber schau lieber in den sechsbändigen Duden, den ich dir mal geschenkt habe. Da findest du alles.“
Das tat ich auch und las auf Anhieb den Beispielsatz: „Der Zug verschwand in der Ferne“ – nicht also in „die“ Ferne. Hmm. Und dann stieß ich endlich auf die lang gesuchte Antwort. Duden bringt das Beispiel: „Er verschwand im/ins Haus.“ Das erinnert sehr an mein Flugzeug und die Wolke. Duden erklärt allerdings, dass „verschwinden“ in diesem Fall „gehen“ bedeutet (wie: „ich verschwinde schnell, ich muss mal“). Und noch wichtiger: dass „Verschwinden“ im Sinne von „gehen“ ausschließlich Umgangsprache sei. Das heißt: Man kann nur in der Umgangsprache in „eine“ Wolke verschwinden. Wenn man hochgestrochen schreibt, muss man in „einer“ Wolke verschwinden.
Aber wer weiß: Die Umgangsprache von gestern kann durchaus mal die Hochsprache von morgen werden.
Fazit: Alle haben recht. Was könnte schöner sein! Ein Schluss wie das Paradies selbst. Noch schöner: Das Problem des Verschwindens verschwindet nun endgültig. Über die „Wolke“ hingegen gibt es noch einiges zu sagen. Das aber ein anderes Mal.
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