Sexistische Erinnerung mit Konsequenzen
Ich verzeihe Ihnen, Frauenbuchhandlung, und erkläre mein Boykott offiziell für beendet.
Worum geht es?
Vor dreißig Jahren war ich auf der Suche nach passender Literatur für einen Artikel über Göttinnen. Damals gab es noch kein Internet. Wer ernsthaft Recherchen betrieb, machte es wie seine Vorfahren aus dem 18. Jahrhundert: Er ging entweder in die Bibliothek oder in eine Buchhandlung.
Was wäre naheliegender, so dachte ich damals, als in der Frauenbuchhandlung nach einem Buch über Göttinnen zu suchen. Und das tat ich auch.
Ahnungslos und frohen Mutes trat ich in diese genannte „Frauenbuchhandlung“ ein. Hing eine Glocke an der Tür? So kommt es mir im Gedächtnis vor. Eine Frau (ihr Aussehen habe ich längst vergessen, sie war aber in den besten Jahren) saß reglos hinter einer Verkaufstheke. Vielleicht habe ich ein hastiges „Grußgott“ genuschelt. Mehr nicht. Denn schnell hatte ich an den Regalen das Hinweisschildchen „Mythologie“ visiert und mich auf die Suche gemacht. Nach wenigen Minuten hatte ich das Passende Buch tatsächlich aufgespürt. Doch kaum hatte ich es in der Hand, vernahm ich Folgendes:
„Es tut mir leid, aber Sie müssen den Laden sofort verlassen.“
Noch jauchzte meine Seele, weil ich genau das Buch gefunden hatte, das ich brauchte. „Ich muss den Laden verlassen? Wieso?“
„Hier ist Männern der Zutritt verboten.“
Nein, kein Witz. Das hat sie gesagt. „Aber das steht nirgends gekennzeichnet, erst recht nicht an der Eingangstür. Oder habe ich etwas übersehen?“
„Es heißt hier ‚Frauenbuchhandlung’. Die Sache dürfte selbstverständlich sein.“
„Ich will bloß ein Buch kaufen, das ich für meine Arbeit brauche, sonst will ich von Ihnen nichts.“
„Jetzt werden Sie frech.“
„Nein, im Gegenteil. Ich möchte dieses Buch haben. Es ist genau das, was ich brauche.“
„Dann gehen Sie in eine Männerbuchhandlung.“
„Wieso darf ich es nicht bei Ihnen kaufen?“
„Wir verkaufen an Männer nicht. Schicken Sie Ihre Mutter vorbei.“
„Sie versteht aber kein Deutsch. Außerdem lebt sie weit weg.“
„Ich kann Ihnen nicht helfen. Bitte, gehen Sie.“
Den nächsten Satz werde ich Ihnen ersparen. Ich war jung, empört und verfügte schon damals über einen ausreichenden Wortschatz deutscher Derbheiten. Dann ging ich und ließ die Ladentür hinter mir laut zuknallen, so dass die Glocken nachhallend bimmelten. Die Dame am Verkaufstisch meinte wahrscheinlich: typisch Mann.
Es war eine stupide Situation, und ich war beinahe sprachlos vor Entzetzen. Passiert mir immer, wenn ich mich hilflos fühle und ungerecht behandelt werde. Ein stilles, nutzloses Boykott war mein einziges Kampfmittel.
Inzwischen sind dreißig Jahre vergangen. Der Laden ist seitdem mindestens zweimal umgezogen, und ich bin älter geworden. Heute erkläre ich also mein Boykott offiziell für beendet.
Nur ein Problem: Ich traue mich nach wie vor nicht, in den Laden zu gehen. Was ist, wenn Männern der Zutritt immer noch verwehrt geblieben ist? Wer möchte zweimal brüskiert werden? Ein ernsthaftes Problem.
Finden Sie auch, dass ich gerade mindestens zwanzig brisante politische Konfliktherde und mehrere millionen private Reibereien beschrieben habe? Wundersam, nicht wahr? So einfach ist es, die Geschichte der Welt in Miniatur zu erzählen.
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