Ronald Reagan, Juri Andropow und Wojciech Jaruzelski stehen vor Gott. Andropow fragt: „Wann wird die Sowjetunion zugrunde gehen?“ Gott antwortet: „Keine Sorge. Bis dahin bist du lange tot.“ Nun fragt Reagan, wann Amerika untergehen werde. Gleiche Antwort: „Keine Sorge. Bis dahin bist du lange tot.“ Nun ist Jaruzelski dran. Er fragt: „Wann wird der Wohlstand in Polen einkehren?“ Gott antwortet: „Keine Ahnung. Bis dahin bin ich lange tot.“
Diesen alten Witz erzählte mir heute Freund E. während eines Telefongesprächs.
„Lustig, gell?“ sagte – bzw. fragte – er. „Ich habe es bei den ursprünglichen Namen belassen. Denn ein sowjetischer Militärattaché hat es mir vor vielen Jahren erzählt.“
„Man muss Pole sein, um darüber zu lachen“, sagte ich.
„Nein, Russe.“
Eigentlich hat E. nicht angerufen, um mir einen lahmen Witz aus der Zeit des Kalten Krieges zu erzählen. Er wollte mir Wichtiges mitteilen. „Ich habe eine spannende Story für dich“, sagte er.
„Ich habe keine Zeit. Ruf mich später an. Ich bin mitten im Schreiben.“
„Nein, sofort die Druckerpresse anhalten. Es geht um die ‚Doomsday-Datei’. Du weißt schon.“
„Nein, ich weiß nicht. Was für ‚Doomsday-Datei’?“ („Doomsday“ ist übrigens die englische Bezeichnung für den Jüngsten Tag).
„Von Julian Assange. Eine Datei, die die Namen aller seiner Wikileaks-Informanten enthält. Die Datei findet man zwar schon lange im Internet – allerdings verschlüsselt. Assange drohte früher mit der Veröffentlichung, für den Fall die CIA oder sonstige Geheimdienste ihn umzubringen vorhatte. Nur seine intimsten Mitarbeiter hatten das Passwort, mit dem man die Datei entschlüsselt.“
„Wieso soll sie ausgerechnet jetzt preisgegeben werden? Assange lebt.“
„Weil es Zwietracht zwischen ihm und seinen Leuten gibt. Manche halten ihn für zu profilsüchtig.“
„Und du meinst, dass irgendwelche ehemaligen Weggefährten das Passwort jetzt verraten haben.“
„Das weiß man eben nicht. Fest steht nur: Es gibt inzwischen Leute, die die entschlüsselte Datei haben. Wie sie dazu gekommen sind, kann ich nicht sagen. Es ist jedenfalls nur eine Frage der Zeit, bis ein Verrückter die Info freigibt. Dann ist ganz aus: die große Kernschmelze bei den Geheimdiensten findet auf der Stelle statt. Wäre was für dich, oder?“
„Wieso für mich?“
„Du könntest einen Text über das Phänomen ‚Doomsday’ schreiben. Vielleicht kannst du ihn an irgendeine Feueilletonseite verkaufen.“
„Warum soll ich mich für die Geschichte der Massenhysterie und der Paranoia interessieren?“
„Weil du Philosoph bist.“
„Ich bin Existenzphilosoph, und das ist was anders. Außerdem wollte ich heute über Loriot und den deutschen Humor schreiben.“
„Du weißt, was Winston Churchill über den deutschen Humor zu sagen hatte, oder?“
„Nein.“
„Er meinte: Der deutsche Humor ist nicht zum Lachen.“
„Engländer machen gerne Witze über Deutsche – und Russen über Polen.“
„Du wirst also keine Kulturgeschichte der Massenhysterie schreiben?“
„Bist du enttäuscht, wenn ich dir sage, dass es keinen Doomsday geben wird?“
„Soll auch das ein Witz sein?“
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