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Die Rache der Killertomaten etc.

„Boccaccio“? Heute muss man davon ausgehen, dass dieser Name den meisten Menschen nicht mehr geläufig ist. Man denkt vielleicht an eine putzige japanische Trickfilmfigur. Oder man tippt auf ein italienisches Kartenspiel oder eine Salatart der nouvelle cuisine. (Zum Thema Salat komme ich unten noch einmal zurück).

Gewiefte Bildungsbürger wissen aber, dass mit diesem Namen Giovanni Bocciaccio, italienischer Schriftsteller des 14. Jahrhunderts, Autor der lustigen Geschichtensammlung „Dekameron“, gemeint ist. In seinem Buch entfliehen zehn adlige junge Menschen der Pestwelle in Florenz und treffen sich auf einem schönen Landgut, wo sie sich zehn Tage lang Geschichten erzählen, um die Langeweile zu vertreiben. Notabene: Es handelt sich hier nicht um irgendeinen gewöhnlichen Pestausbruch, sondern um den berüchtigen Schwarzen Tod, der in den Jahren 1348 und 1349 ein Drittel der Bevölkerung Europas dahingerafft hat.

Letzte Woche waren wir in der Oberpflalz. Meine Reise kann man nur oberflächlich mit der Flucht der hübschen Edlen Boccaccios vergleichen. Ich war nicht auf der Flucht vor den Killertomaten -gurken und -salatblättern. Von den Killersprossen war damals noch nicht die Rede.

Ich war lediglich reif für die Insel. Zum Glück haben wir unsere Insel der Seligen (selig zumindest für die Touristen) gefunden: Runding hieß sie, ein Bergdorf zwischen Cham und Bad Kötzting. Mein Rat: Nichts wie hin. Runding ist viel näher als Rhodos, Málaga, Bangkok und Co.

In diesem kleinen Dorf haben wir viel erlebt, doch an dieser Stelle möchte ich nur über zwei Begebenheiten (oder vielleicht meine ich „Aspekte“ der Reise) berichten. Die erste wird alle Nordlichter zutiefst befriedigen – und momentan bedürfen Nordlichter dringend einer guten Nachricht. Es geht um die Abschiedsvokabel „Tschüss“. Dieses in Bayern lang verfemte Wort hat sich nämlich in der Oberpfalz fest durchgesetzt. Dass sich Einheimische von uns Touristen mit einem lockeren „Tschüss“ oder einem verkrampften „Auf Wiedersehen“ verabschieden, ist nachvollziehbar. Aber die Leute dieser Gegend sagen es auch zueinander. „Tschüß“, sagte die Kassiererin zu der Kundin. „Tschüß“ sagte der Busfahrer zu dem Schüler. Staunen Sie auch? Mein Gedanke: Wann fangen die Norddeutschen an, mit „Grüß Gott“ zu grüßen?

Die zweite Begebenheit hat mit Bier zu tun. Und damit komme ich auch zu meiner Magenverstimmung. Welch Ironie, gell? Im Zeitalter der EHEC-Plage prompt von einer Magenverstimmug befallen zu werden. Aber so spannend ist nunmal das Leben.

Wir gingen in die Wirtschaft, und ich erzählte Frau Kopp, der Wirtin von meiner Malaise, und dass ich nur Mildes essen wollte. Irgendwie sind wir dann auf das Thema Bier gekommen, und nun erfuhr ich, dass Familie Kopp eigenes Bier braut.

„Ich trinke Bier gerne“, sagte meine Frau, „mein Mann aber nicht.“

„Seit 1985 nicht mehr“, fügte ich provokativ hinzu.

Inzwischen war auch Herr Kopp mit von der Partie. „Muss man wissen“, sagte er, „dass das Bier ein Grundnahrungsmittel ist, das wertvolle Spurenelemente enthält.“

„Ja“, sagte meine Frau, „deswegen gilt es in Deutschland als Lebensmittel und nicht als Betäubungsmittel. Aber es ist nur gut, wenn man es nicht übertreibt.“

„In Maßen nicht in Massen soll man’s Bier trinken“, fügte Herr Kopp an.

„Und für Magenleidende ist’s Bier besonders geeignet“, sagte Frau Kopp und schaute in meine Richtung.

So groß wurde meine Neugierde, dass ich nun ein kleines, helles der Marke Schlossbrauerei Runding bestellte. Jawohl. Mein erstes Bier seit 1985 – und, stellen Sie sich vor: Es hat auch geschmeckt. Wie soll ich es beschreiben. Es war vollmundig, also keine dünne Flüssigkeit, und es hatte nur wenig Kohlensäure. Meine Frau sagte, es sei „untergärig“ gewesen. Für mich ein neuer Begriff. Ich weiß aber nicht, wie man Bier am besten beschreibt. Da müssen Sie selbst nach Runding fahren. Denn nur in der dortigen Umgebung ist es, so weit ich weiß, erhältlich. Sehen Sie: Jetzt habe ich gerade Werbung für ein Dorf und für ein Bier gemacht. Und zwar kostenlos. Ist das Leben nicht voller Überraschungen?

Das Bier hat meine Magenverstimmung allerdings nicht kuriert. Aber trotzdem.

Wenn Sie meinten, ich wollte heute – wie jeder anderer – die EHEC-Epidemie thematisieren, dann haben Sie sich geirrt. Mir geht es nur um das Wort „Tschüss“ und um mein erstes Bier seit 25 Jahren. Boccaccios Edlen erzählten von der Liebe, von der Eitelkeit, vom Schwindel, nicht aber von der allgegenwärtigen Pest. Ist gesunder, wenn man auch andere Interessen hat.

Doch jetzt kehre ich zum Salat zurück: Im Supermarkt in Runding wartete ein älterer Herr an der Kasse, einen Salat in der Hand. „Is mir wurscht, wenn i wegn am Salat sterb, bin oid g’nug“, sagte er.

Ich konnte mich in diesem Augenblick nicht mehr zurückhalten. Es platzte regelrecht aus mir heraus: „Sehen Sie, jetzt haben Sie den Salat“, sagte ich.

Ein Tag wie jeder andere in Runding.

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