Zeit meines Lebens bin ich eine betriebswirtschaftliche Niete gewesen. An dieser Stelle hatte ich ursprünglich vor, einen Brief an den Aufsichtsrat der Commerzbank zu schreiben, um Aufnahme in dieses Gremium zu bitten. Eine schöne Arbeit. Man tut wenig und bekommt dafür viel. Stattdessen habe ich mich entschlossen, Ihnen eine kostenlose Lektion über die Gedächtniskunst zu bieten. Wie gesagt: Was das Geschäftliche betrifft, war ich schon immer eine Niete.
Fangen wir mit den Hethitern an. Wer nicht weiß, wer die Hethiter waren, der soll bitte selbst darüber nachschlagen. Ich habe keine Lust mit der Linkvorrichtung dieser Software lang herumzufuchteln. Über die Hethiter habe ich ohnehin nur Folgendes zu sagen: Sie waren in Wirklichkeit keine Hethiter. Damit meine ich: Sie haben sich nie als Hethiter bezeichnet.
Das habe ich erst gestern erfahren. Es hat mich so dermaßen interessiert, dass ich prompt vergessen habe, dass ich hier meinen Brief an den Aufsichtsrat der Commerzbank veröffentlichen wollte.
Dieses antike Volk der Hethiter heißt nur so, weil es einst ein Volk erobert hatte, das„Hethiter“ oder so ähnlich hieß. Eine laxe ägyptische Schreibkraft hat die Nachricht aus dem fernen Anatolien erhalten und prompt den Namen der Eroberer mit dem der Eroberten durcheinandergebracht. Diesen Fehler baden wir bis heute aus.
In Wirklichkeit nannten sich die „Hethiter“ „Neschi“. Ja, „Neschi“. Jetzt wissen Sie es. Und ich möchte beinahe wetten, dass Sie dieses nutzlose Faktoïd nie wieder vergessen werden.
Für den Fall, dass Sie es doch tun könnten, bringe ich Ihnen jetzt eine Technik bei, die es Ihnen unmöglich machen wird, jemals zu vergessen, dass die Hethiter in Wahrheit Neschi hießen.
Dazu brauchen Sie nur, wie man früher sagte, einen Gedächtnispalast zu bauen.
Das ist freilich kein echter Palast. Es kann Ihre Wohnung bzw. Ihr Haus sein. Es kann Ihr Zuhause aus der frühen Kindheit sein. Es kann eine Kirche, ein Büro, eine Schule sein. Es muss nicht einmal ein Gebäude sein. Es kann auch eine Gartenanlage sein, eine Straße, die Sie intim kennen. Egal.
Wichtig ist nur, dass Sie diese Räumlichkeit in Ablageeinheiten unterteilen. Wenn es, zum Beispiel, Ihre Wohnung ist, dann können Sie jeden Raum zu einer Ablageeinheit machen: Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer, Bad, Toilette. Ich weiß nicht, wie viele Räume Sie haben. Auch ein Einzimmer Appartement kann man bestens in Einheiten einteilen: Bücherregal, Bett, Tisch, Lampe, Küchenschrank, Backofen, Spülbecken usw.
Das Gedächtnis will aber Ordnung. Ihre Ablageeinheiten müssen also eine klare Reihenfolge einhalten, wenn Sie sie in Gedanken besuchen.
Und jetzt der Trick: Sie können bei jeder Ablagestelle etwas, das Sie sich merken wollen, ablegen. Sagen wir, zum Beispiel, Sie wollten sich in Ihrem „Gedächtnispalast“ die „Neschi“ einprägen. Ich würde empfehlen, dass Sie sie im Spülbecken ablegen. Warum dort? Weil es dort oft Nässe gibt. „Neschi“ und „Nässe“ klingen sehr ähnlich. Die Hirnneuronen mögen gerne Assoziationen, die das Gedächtnis wachrütteln.
Besonders lieben die Neuronen überraschende Bilder. Beispiel: Sie möchten sich für alle Zeiten den Hochzeitstag, den 29. April, von William und Kate merken. Mein Vorschlag: Gehen Sie ins Schlafzimmer Ihres Palasts und legen Sie das Prinzenpaar in Ihr Bett. Denken Sie dann an 29 Wolken, die auf das Paar regnen – ein Aprilschauer!
Je bunter, wilder – auch perverser – , desto wirksamer die Einprägung. Die Neuronen mögen Schräges, Ungewöhnliches.
Wie schon gesagt: Es handelt sich hier nur um eine erste Lektion über die Gedächtniskunst. Aber Sie haben immerhin schon eine Vorstellung, wie es geht – und den wahren Namen der Hethiter haben Sie gewiss nicht vergessen.
Für den Anfang bitte ich Sie darum, einen eigenen Gedächtnispalast zu errichten. Notabene: Je mehr Ablagestellen in Ihrem Palast, umso mehr Dinge können Sie dort ablegen! Keine Sorge: Man kann den Gedächtnispalast zu jeder Zeit wieder ausräumen und neu belegen.
Alles, was man heute über diese hehre Kunst weiß, geht auf die Schriften von Quintilian, Cicero und vor allem dem anonymen Autor eines Traktats „Ad Herrenium“ zurück: drei Römer, die zwischen 80 v.Chr. und etwa 80 n.Chr. tätig waren. Diese wiederum haben für die eigenen Texte aus längst verschollenen griechischen Traktaten geschöpft. Keiner weiß, seit wann es die Gedächtniskunst gibt.
Verständlich, dass so eine Kunst zustande gekommen ist. Im Zeitalter vor dem Buchdruck musste man vieles auswendig lernen. Heute hat (bald) fast jeder ein Smartphone oder einen Tablet-PC. Man muss sich kaum mehr was merken.
Doch letztlich weiß man nicht, wann der Strom ausgehen wird. Schließlich leben wir in gefährlichen Zeiten. Deshalb meinte ich, es sei wichtiger heute über die Gedächtniskunst zu berichten als hier einen Brief an den Aufsichtsrat der Commerzbank zu veröffentlichen. Wird der Strom ausgeschaltet, ist man froh, wenn man sich ein bisschen was eingeprägt hat.
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