Wann ist ein Kompliment kein Kompliment?
Hier ein einfaches Beispiel: Sie gehen ins Geschäft und kommen mit dem Ladenbesitzer ins Gespräch.
„Aus Hamburg sind Sie“, sagt er, „Sie sprechen aber sehr schön Deutsch.“
Für Hamburg, kann man beliebig „München“, „Erfurt“, „Remagen“, „Hoyerswerda“, „Trier“ usw. setzen. Ist egal.
Okay. Mein Beispiel ist etwas an den Haaren herbeigezogen. Normalerweise bekommt man keine Komplimente für etwaige Fähigkeiten in der Muttersprache – es sei denn, es handelt sich um einen Aufsatz in der Schule, um eine eloquente Rede, die man gerade gehalten hat, oder um den besonderen Witz eines Schriftstellers oder die gekonnte Darbringung eines Schauspielers.
Aber nun, liebe Migrationshintergründler, zu unserer Situation.
Letzte Woche ging ich in eine Änderungsschneiderei und kam mit der Ladenbesitzerin ins Gespräch. Als sie mir verriet, sie sei geborene Griechin, outete ich mich sogleich als geborenen Amerikaner. Das erkennt man ohnehin an meinem Akzent.
Im Gegensatz zu mir sprach die Schneiderin ein tadelloses, akzentfreies Deutsch. Das lässt sich aber leicht erklären. Sie lebt schon seit über 45 Jahren in Deutschland und kam als Kind hierher.
Fakt ist: Wenn man eine Fremdsprache vor der Pubertät lernt, wird man sie fast immer wie ein Muttersprachler beherrschen. Ist man aber schon in (oder jenseits) der Pubertät, wird man den eigenen fremden Akzent selten los. So erging es Henry Kissinger. Er war bereits fünfzehn, als seine Familie 1938 in die USA ausgewandert ist. Sein um ein Jahr jüngerer Bruder Walter hat im Gegensatz zu Henry keinen deutschen Akzent.
Ich war schon ein junger Mann, als ich 1975 nach München kam. Kein Wunder, dass ich mich nie als native speaker der hiesigen Sprache werde durchmogeln können. Manche schaffen es dennoch. Ich habe Migrationshintergründler kennengelernt, die akzentfreies Deutsch reden, obwohl sie – wie ich – jenseits der Pubertät waren, als sie Deutsch lernten.
„Stellen Sie sich vor“, sagte mir die tapfere Schneiderin, „Es gibt Leute, die mir Komplimente machen, weil ich Deutsch rede. Das macht mich aber rasend. Sie wissen nichts über mich, behaupten aber, dass ich, weil ich im Ausland geboren wurde, ein dressierter Affe bin. Manche Kunden bezeichnen mich nicht als die Schneiderin, sondern als die griechische Schneiderin. Und dann plappern die Politiker über die Assimilation. Ich will mich ohnehin nicht assimlieren lassen. Ich bin stolze Griechin, auch wenn ich Deutsch wie eine Deutsche spreche. Integration und nicht Assimilation, das sage ich.“
Integration statt Assimilation. Das hat mich beeindruckt, und ich habe der Schneiderin gleich verraten, ich würde sie mal zitieren. Bisher hat kein Politiker die Sache mit der Eingliederung von Ausländern so präzise artikuliert wie sie.
Immerhin: Die Schneiderin und ich sind beide bestens integriert und trotzdem haben wir unseren Kindern die Sprache unserer jeweiligen Mütter beigebracht.
Ja, liebe Migrationshintergründler, nehmen Sie sich an uns ein Beispiel. Eine „Assimilation“ gibt es ohnehin nicht.
Als ich einmal in einer Buchhandlung aus meinem Buch „Kaspar Hausers Geschwister“ vorlesen sollte, fragte mich ein Zuhörer vor der Lesung – langsam und deutlich – , ob ich (immerhin Autor eines Buches in deutscher Sprache) Deutsch spräche oder ob er mit mir lieber Englisch reden solle.
„Nein, nein“, antwortete ich, „Es fällt mir zwar schwer, Sie zu verstehen, aber ich kann mich in der Fremdsprache zumindest radebrechend verständigen.“
Ach, und hier mein Lieblingskompliment. Einmal sprach mich eine Amerikanerin auf der Straße an und fragte mich auf Englisch nach dem Weg. Ich antwortete selbstverständlich in der Muttersprache. Daraufhin bedankte sie sich und sagte: „You speak wonderful English.“ Was blieb mir anders übrig? „Thank you“, erwiderte ich. Sehen Sie: Manchmal ist einem jedes Lob recht.
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