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Heute beim Sprachbloggeur praktisches Wissen: Wie man abstrakte Kunst lieben lernt

Worte. Pfui! Manchmal hat man einfach zu viel davon.

Nein, ich bin nicht schreibmüde geworden. Schriftsteller sind diejenigen, die weiter erzählen, nachdem jedem anderen die Puste ausgegangen ist.

Dennoch gibt es Augenblicke, in denen ich kein Wort mehr ertrage – und keinen konkreten Gegenstand mehr sehen will.

Wissen Sie, was ich dann mache?

Ich gehe stracks ins Museum und halte mich bei der abstrakten Kunst auf. In München kann man das besonders gut. Hier haben wir die Pinakothek der Moderne, das Museum Brandhorst, das Haus der Kunst und und.

Ich war nicht immer so ein Liebhaber der abstrakten Kunst. „Das nennt man ‚Minimalismus’“, sagte mir Freund Fritz vor vielen Jahren, als er mir begeistert ein Bild zeigte, auf dem nur drei dicke Farbstreifen zu sehen waren.

„Dann bin auch ich Maler“, antwortete ich. „Ich könnte es genauso.“

„Ach, ja“, sagte Fritz und zuckte mit den Schultern. Er spürte wohl, dass ich noch nicht so weit war. Inzwischen bin ich so weit. Mein Saulus/Paulus-Moment trat vor etwa einem Jahr ein, nachdem ich einen richtigen Erschöpfungszustand durchgemacht hatte. Mein Teller war voll, und ich hatte das Bedürfnis, mich von viel Ballast zu befreien. Wie in Trance begab ich mich eines Tages ins Museum, genauer gesagt, in die Pinakothek der Moderne. Plötzlich stand ich in einem großen Raum – einem riesigen Raum mit weißen Wänden. An den weißen Wänden hingen Bilder, nicht viele, alles überschaubar also. Es war still im Raum, und die Bilder waren Werke der Abstraktion. Wer nach konkreten Gegenständen gesucht hätte, wäre hier nicht fündig geworden.

Neugierig schaute ich mich um. Auf einmal merkte ich, dass ich mich zunehmend besser fühlte. Ich war ganz heiter geworden. Dann schoss mir folgender Gedanke durch den Kopf: Ich bin nicht mehr auf der Erde. Ich befinde mich in einer anderen Welt, und die Bilder, die ich hier betrachte, die sind Mitteilungen in der Sprache dieser fremden Welt. Das, was für mich gegenstandslos scheint, gilt in dieser fremden Welt als konkreter Gegenstand.

Das war das Schlüsselerlebnis, und ich konnte mich dort kaum satt sehen, so aufregend erschien mir diese neue Welt. Seitdem bin ich süchtig nach abstrakten Bildern und Skulpturen. Zu meinen Lieblingsexponaten zählen sechszehn schmucklose Holzkästen, die in einem weiß gestrichenen Raum  der Pinakothek der Modernen hängen. Alle sind gleich groß. Naturbelassenes Kiefern- oder Fichtenholz. Sie unterscheiden sich von einander lediglich durch die unterschiedlichen Trennwände des jeweiligen Kastens. Der Künstler Donald Judd nennt sein Werk „Untitled“.

Freund Fritz ist zufrieden mit mir. Er erklärte mir im vergangenen Winter, es handele sich bei diesen Kästen um unterschiedliche Charakter- oder Persönlichkeitsdarstellungungen. Ein Kasten wird, z.B., durch eine senkrechte Trennwand fast zweigeteilt, ein anderer wird durch eine Schräge diagonal getrennt. Ein Kasten ist ganz offen, bei einem gibt es eine „Vorwand“, die den Hohlraum von der Außenwelt beinahe völlig abkapselt, usw. Alles dargegstellt durch Mittel einer wortlosen Fremdsprache. Tja, so verständigen sich die Außerirdischen untereinander.

Neulich habe ich meine Kenntnisse dieser abstrakten Sprache noch weiter vertieft.. „Weiß du“, sagte ich Freund Fritz erst letzte Woche, „Neulich fiel mir ein, dass es hinter jedem realistischen Bild einen abstrakten Kern gibt – als habe der Maler eines realistischen Bildes erst die abstrakte Form wahrgenommen, bevor er sie zu vergegenständlichen begann.“

Ich merkte es Fritz an. Er war stolz auf mich. Ich hatte den Sinn der Abstraktion endlich kapiert. Und nun möchte ich ihn mit Ihnen, liebe Leser, teilen. Jawohl, beim Sprachbloggeur bekommt man auch Praktisches serviert. Jeder will die Welt verstehen. Bloße Unterhaltung wird auf die Dauer nur langweilig.

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