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Klientelpolitik für alle

Ich habe meinen Freund – wir nennen ihn Larry – immer bewundert. Alles, was neu war oder mich begeisterte, konnte er mit treffsicherem Sarkasmus innerhalb Sekunden in einen kurzen, vernichtenden Slogan verwandeln.

„Du, Larry, hast du das neue Buch von Günter Grass gelesen?“

„In Günters Gras will ich nicht beißen“, antwortete er.

„Du, Larry, hast du den Film ‚Blechtrommel’ gesehen?“

„Die Brechtrommel…“

Und so weiter. Obige Beispiele habe ich selbst notdürftig zusammengeschustert. Larry und ich haben natürlich miteinander Englisch gesprochen. Schade, dass mir keine Beispiele von damals mehr in Erinnerung geblieben sind.

Manche Journalisten haben das gleiche Talent wie Larry, was besonders prägnant in Überschriften wirkt: Etwa „Merkel abgekanzelt“ oder „Schon wieder Bombenstimmung in Bagdad“. Auch diese Beispiele habe ich notdürftig zusammengeschustert. Aber Sie wissen, was ich meine. Es sind jedenfalls solche Floskeln, die die Wortkunst auflockern und die Aufmerksamkeit des vielumworbenen Lesers einfängt wie Rehaugen das Licht der Autoscheinwerfer.

Warum fällt mir heute all dies ein? Sie werden es kaum glauben, aber alles, was ich bisher erzählt habe, kreist um ein einziges Wort, das mich momentan sehr beschäftigt: „Klientelpolitik“.

Mit dieser genialen Wortbildung (keine Ahnung, wer der Urheber war) hat die politische Opposition in Deutschland eine Waffe erfunden, die für die regierende Koalition furchteinflössend zu sein scheint. Den Hintergrund nur knapp, denn Sie kennen ihn ohnehin schon: Als Teil der sogenannten „Steuerreform“ (hahaha) wurde der Mehrwertsteuersatz für Hotels und Gasthäuser von neunzehn auf sieben Prozent herabgesetzt. Bald stellte sich aber heraus, dass August Baron von Finck, dessen Familie Miteigentümer der Mövenpick-Gruppe – sprich Hotels – , die FDP vor kurzem mit einem Geschenk von 1,1 millionen Euro bedacht hatte.

Die Opposition ging mit dem Begriff „Klientelpolitik“ gleich in die Offensive. Und prompt befand sich die FDP in Erklärungsnot. Genauer gesagt: Sie reagierte mit dem Bewusstsein eines Menschen, der gerade eben festgestellt hat, dass er bis zu den Knien im Treibsand steckt.

„Klientelpolitik“. Ein Wort wie eine Massenvernichtungswaffe. Um die Sache noch zu verschlimmern: Nun trat Gesundheitsminister Philipp Rösler in den gleichen Sumpf, zunächst weil er nichts gegen die neulich angekündigten Zusatzzahlungen der Kassen unternommen hatte. Aber noch schlimmer. Er lasse – so die FAZ – seine Gesundheitsreform (hahaha) von Lobbyisten der privaten Krankenversicherungen erarbeiten.

„Klientelpolitik“. Ein Wort wie eine Gruft.

Ja, darüber wollte ich heute erzählen. Und wissen Sie was? Ich bin der Meinung, dass es der FDP recht geschieht. Denn aus Liberalen sind Ideologen geworden. Eine kleine Elite hat sich in einer verkorksten marktwirtschaftlichen Gedankenstruktur verfangen, anstatt sich ernsthaft mit den Sorgen derjenigen zu befassen, die keine Klienten sind. Ich kann nur hoffen, dass diese Partei bald wieder zur Vernunft kommt. Denn letztlich mag ich selbst keine Slogans.

Zu bemerken: Das Wort „Slogan“ stammt aus dem Keltischen und bedeutet wörtlich „Schlachtgeschrei“. Nur: Wenn der Krieger in der Schlacht vorprescht und dabei einen Schrei ausstösst, hat diese Tätigkeit eigentlich nichts mit Sprache zu tun, sondern mit einer uralten Imponiergebärde, die wir auch mit anderen Tieren gemeinsam haben.

Heute würde ich Larry sagen: „Du, Larrry, kannst du dich nicht etwas differenzierter ausdrücken?“

„Was willst du von mir?“ würde er antworten, „Ich mache mit dir nur Klientelpolitik.“

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