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Einführung in die virtuelle Sprache

Zu sehen auf dem Foto ist ein Ehepaar, das in einem Wohnraum vor einem großen Flachbildschirm sitzt. Die Dame – sie heißt, so die Bildunterschrift, Elizabeth Geosits – beherbergt auf dem Schoß einen großen, kitschigen Teddy. Neben ihr, ein bisschen im Abseits, sieht man Joseph Geosits. Die beiden machen einen vergnügten Eindruck. Im Flachbildschirm wiederum erkennt man die sitzenden, sandalierten Beine einer Frau, die, bedingt durch den Bildausschnitt, entrumpft ist. Neben ihr erblickt man die Figur eines sich auf dem Fußboden wälzenden Kleinkinds, das nach Auskunft der Bildunterschrift Alexandra heißt.

Das Foto entdeckte ich in der International Herald Tribune vom 28. November 2008. (Übrigens: der Geburtstag des großen englischen Dichters William Blake, der einmal schrieb: "The road of excess leads to the palace of wisdom“. Etwa: Der Weg des Übermaßes führt zum Weisheitspalast).

Die Überschrift des Bild begleitenden Artikel lautet: "Grandma is 'visiting’ (on computer screen)“. Also: "Oma geht auf 'Besuch’ (auf dem Computerbildschirm)“.

Man erfährt im Text, dass Enkelin Alexandra Opa Joseph eben eine Tasse mit "Apfelsaft“ gereicht hat. Das ist freilich nichts Ungewöhnliches. Kleinkinder bieten seit Ewigkeiten echte Tassen an, die mit Fantasiegetränken gefüllt sind. Doch hier ist die Rede von einer Webcamverbindung. Opa Joseph kann die Tasse also nicht richtig ergreifen. Er bedankt sich dennoch und tut so, als hätte er den ihm gereichten "Apfelsaft“ getrunken. Dies ist jedoch auch kein normaler Fantasieapfelsaft, sondern ein virtueller Saft, dessen Existenz nur denkbar ist, weil zwei mit Webcams ausgerüsteten Computer miteinander verbunden sind.

Das heißt: Die Vokabel 'visiting’ steht in Anführungszeichen, weil hier kein normales Besuchen gemeint ist, sondern ein Besuchen, das eigentlich keins ist.

Hoffentlich wird dies nicht zu kompliziert. Ich will nur darauf hinweisen, dass es sich hier um zwei sehr unterschiedliche Wörter handelt: einmal um 'visiting’ und einmal um visiting. Eigentlich müßte man "Opa“, "Oma“, "Tasse“ "Alexandra“ und vieles andere mehr ebenfalls in Anführungszeichen setzen. Denn ein virtueller Besuch ist nicht mit einem echten Besuch zu vergleichen. Enkelin Alexandra wird also ihre Fingerlein nie in den großen, kitschigen Teddy der Oma versenken. Oma Elizabeth darf hingegen auf die glatte Wange der putzigen Enkelin kein feuchtes Küßchen platzieren. Alles ist also noch virtueller als der "Apfelsaft“, den Alexandra Opa Joseph angeboten hat.

Vielleicht fantasiere ich heute etwas zu sehr, oder vielleicht habe ich gerade ein Problem erfunden, das keins ist. Dennoch bin ich überzeugt, dass der Fall immer öfters eintreten wird, dass ein 'Besuch’ im Grunde keiner ist.

In meiner Kindheit war die Bildtelefonie eine beliebte Fantasie. Auch wenn schon damals die Technologie dafür existierte, war sie aus Kostengründen nicht realisierbar. Heute ist sie einfach zu bewerkstelligen, und sie wird in absehbarer Zeit sicherlich zu einem Massenphänomen werden. Deswegen bin ich überzeugt, dass künftig entsprechende linguistische Marker nötig sein werden, um das virtuelle vom konkreten Erlebnis zu unterscheiden.

Nein, ich treibe mit Ihnen heute kein "Gehirnjogging“. Ich blicke nur ein bisschen in die Zukunft. Zugleich kann ich bereits jetzt beruhigen: Auch die kompliziertesten Dinge werden zu zweiter Natur, wenn man sie täglich wiederholt. The road of excess leads to the palace of wisdom. Das war immer so.

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