Das genaue Kalenderdatum ist mir unbekannt. Ich tippe auf 1954.
Wir Kinder spielten Fangen vor der Tür des vierstöckigen Backsteinhauses. Zuerst mussten wir entscheiden, wer der Fänger sein wird. Deutsche Kinder sprechen (oder sprachen) das uralte „Enne menne mu, raus bist du“ oder einen ähnlichen Zauberspruch aus, um den Fänger zu bestimmen.
In der Bronx, meiner Heimat, machten wir es ebenso: „Eenie meenie minie mo (sprich: ini mini meini mo…) – wie Sie merken, besteht hier eine uralte Verwandtschaft zweier Sprachen. Unser „raus bist du“, war allerdings etwas aufwendiger zu sprechen als das der deutschen Version. Bei uns hieß es „catch a nigger by his toe. If he hollers let him go. My mother said to pick this one.” Zu Deutsch: „schnapp einen Neger am Zeh. Wenn er schreit, lass ihn los. Meine Mutter sagt, man solle diesen auswählen. “
Es ist der „geschnappte Neger“, der heute unsere besondere Aufmerksamkeit verdient. Ich vermute, dass dieses Bild in der Zeit der Sklaverei in den USA entstanden ist.
Ich kann mich genau erinnern, wie eines Tages vor dem Fangspiel ein Bub – sicherlich war er älter und weiser als ich – „halt!“ rief, als wir dabei waren, unser Reimchen zu rezitieren.
Alle schauten auf ihn.
„Man darf „catch a nigger“ nicht mehr sagen, verkündete er mit Autorität. „Es ist unschön. Ab jetzt werden wir ‚catch a tiger by its toe’ sagen.“ Und so geschah es denn auch.
Warum tippe ich auf 1954? Weil das Oberste Gericht der USA in diesem Jahr eine wichtige Entscheidung gegen die Rassendiskriminierung getroffen hat.
Ich musste daran denken, als ich von einem anonymen Leser (einer Leserin?) unlängst einen Kommentar über die „political correctness“ erhielt. Der/die Schreiber(in) stellte fest, dass in Bayern ein Weißbier mit Cola – ehemals „Neger“ genannt – heute nur mehr „Diesel“ heiße. Auch die Bezeichnungen „Negerkuss“ bzw. „Mohrenkopf“ seien verschwunden. Diese Neuigkeiten seien wohl der politischen Korrektheit zuliebe entstanden, mutmaßte er (sie).
Mir war nicht klar, ob der/die Leser(in) das Verschwinden dieser Begriffe gutheißen wollte oder eben nicht. Ist aber unwichtig.
Ich jedenfalls finde es richtig, dass die „Mohrenköpfe“ und „Neger“ zu Sprachkuriositäten geworden sind. Man muss bedenken: Solche Wörter entstammen einem Zeitalter – bzw. einem Zeitgeist, als Europäer wenig Ahnung von der großen Welt hatten. Das Fremdartige hat man entweder pauschal abgelehnt oder sich darüber lustig gemacht – letzteres eine Verlegenheitslösung. Juden, Sinti (früher „Zigeuner“, d.h. „Ziehgauner“- "Gauner" im Sinn von "Ioner", also eigentlich "Griechen"), Türken, sogar Italiener wurden von manchen noch vor dreißig Jahren als „Fremdkörper“ angesehen. Über Exotiken macht man halt Witze. Das ist keine Krankheit. Es geht schließlich um „wir“ und „sie“.
Das war aber damals. Inzwischen hat der Fremde einen Namen und ist vielleicht Ihr Nachbar. Da die Sprache nur selten auf der Stelle tritt, ist es heute kein Wunder, dass man in der Bäckerei keinen „Mohrenkopf“ mehr verlangt (wenn man überhaupt einen in der Bäckerei findet. Ich sehe sie schon lange nicht mehr).
In Amerika konnte man einst bei der Fastfood-Kette, „Little Black Sambo“ einen netten kleinen Imbiss bestellen. Der Firmenlogo war der Kopf eines schwarzen Jungen. Circa 1970 hat die Geschäftsleitung das Zeichen der Zeit erkannt. Die Kette heißt seitdem nur noch „Sambos“. Schnell wurden der alte Name und das Logo vergessen.
Nur in den „no-go-areas“ des Abendlands hält man an den alten Vokabeln fest. Man träumt dort aber nur ausgeträumte Träume.
Wäre interessant zu wissen, was die Chinesen mit den Begriffen „Tibetaner“ und „Uigur“ alles anstellen, oder welche Sprachironien Christen und Juden in Irak und Afghanistan ausgesetzt werden.
Ach ja, nur nebenbei: Diese heutige Glosse hat mit der politischen Korrektheit absolut nichts zu tun. Allen Ewiggestrigen wünsche ich eine gute Nacht.
Add new comment