Ü Dschin hat uns vor ein paar Tagen besucht. Ich schreibe ihren Namen sicherlich ganz falsch, das heißt, nicht nach dem "pinyin“, dem amtlichen Transkriptionsalphabet. Das "Dsch“ in "Dschin“ spricht man übrigens wie das "j“ im französischen Namen "Jean“ aus.
Sie studiert an der Universität Hong Kong und ist momentan Austauschstudentin im Fach Wirtschaft an der Universität Utrecht.
Ihre Englischkenntnisse sind sehr gut. Darüber hinaus hat sie etwas Spanisch und Holländisch gebüffelt. Chinesisch ist aber ihre Muttersprache.
Genauer gesagt: Der Mandarindialekt des Chinesischen ist ihre Muttersprache. Dieser wird in Peking gesprochen und ist auch Amtssprache der chinesischen Regierung. Da Ü Dschins Familie in Schanghai lebt, spricht sie auch das Chinesisch aus Schanghai, und sie beteuerte, dass zwischen der Sprache in Schanghai und in Peking erhebliche Unterschiede bestünden. "So groß wie zwischen Deutsch und Holländisch“? fragte ich. Sie nickte, ja. Vielleicht wollte sie nur höflich sein. Aber dann fügte sie hinzu: "Man kann sich nicht immer gegenseitig verstehen.“
Im übrigen spricht Ü Dschin, da sie in Hong Kong studiert, Kantonesisch. Hier ist der Unterschied zum Mandarinischen so groß wie der zwischen Deutsch und Dänisch. Chinesisch ist eine Tonsprache. Das heißt: Jede Silbe – und viele Wörter sind ja einsilbig – kann in verschiedenen Tonlagen artikuliert werden. Im Mandarinischen gibt es vier Tonlagen: neutral, steigend, fallend und fallend dann steigend. "Wenn Ausländer die Töne falsch sprechen oder weglassen, verstehen wir sie trotzdem“, erklärte sie.
Kantonesisch hingegen verfügt über neun Töne. Ich weiß nicht, wie sie alle heißen. "Eigentlich benutzen wir davon aber nur sieben“, sagte sie.
"Das bedeutet also“, fragte ich, "dass die anderen zwei Töne mehr oder weniger veraltert sind, oder?“ Sie nickte, ja. Vielleicht wollte sie nur höflich sein.
Besonders interessant fand ich ihre Beschreibung des chinesischen Verbalsystems. Die Verben werden nämlich nie gebeugt. Man sagt also "wo zou“ (ich geh), "ni zou“ (du geh), "ta zou“ (er/sie geh) usw. Die Töne habe ich hier absichtlich außer Acht gelassen.
"Was ist, wenn man die Zukunft oder die Vergangenheit ausdrücken will?“
"Das versteht man aus dem Zusammenhang“, antwortete sie. "Wenn nicht, dann kann man ein Wort hinzufügen, das 'vorher’ oder 'nachher’ bedeutet.“
"Und wie werden Bedingungssätze formuliert? Zum Beispiel, 'Wenn er gegangen wäre, hätte er seinen Spaß gehabt’.“
„Dann sagen wir, 'Wenn er geh, hab er Spaß’.“
"Und jeder versteht, dass es sich um eine Bedingung handelt?“ Sie nickte, ja. "Und wenn man ein Buch aus einer Fremdsprache ins Chinesische übersetzt, und der Autor ein bewusstes Wortspiel macht – etwa 'wenn du gehst, gehe ich, wenn du gegangen wärst, ginge auch ich’.“
"Dann fügen wir ein paar Wörter wie 'vorher’ und 'nachher’ an“, antwortete sie und lächelte freundlich.
Ach ja, und noch etwas Wichtiges für Anfänger: Chinesen halten die Zahl "vier“ für ungünstig. "Acht“ hingegen ist eine Glückszahl. Das muss man sich unbedingt einprägen.
Somit wissen Sie das Wesentlichste über China und die chinesische(n) Sprache(n). Und nun, liebe Leser und Leserinnen: xīnnián kuài lè. Zu Deutsch: Alles Gute zum neuen Jahr.
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