Ganz Deutschland brummt heute der Schädel. Sie wissen schon, wovon ich rede: von den „Schockfotos“ aus der Bildzeitung. Eine zweite Boulevardzeitung setzte eins drauf mit der Schlagzeile „Angst vor Terrorwelle“. Alles als Folge einer Misstat, die drei Jahre zurückliegt und erst jetzt dem Blätterwald zugespielt wurde.
Wie dem auch sei. Jeder bekommt den Skandal, den er verdient. Mein Interesse gilt aber der Sprache und nicht der Politik.
Die Sprachwissenschaftler wissen wenig über die Geschichte dieses Wortes zu berichten. „Schädel“ kommt nur im Deutschen und Niederländischen („schedel“) vor. Das englische „Skull“ ist möglicherweise mit „Schädel“ verwandt. Manche Linguisten rücken es aber lieber in die Nähe von „Schale“ – „Schädel“ also als „Gefäß“ oder „Hülle“.
Nebenbei: Der berühmteste englische Schädel gehörte einem gewissen Yorick aus Shakespeares „Hamlet“. Der dänische Prinz Hamlet spaziert mit seinem Freund Horatio über den Friedhof. Die zwei Männer stoßen – ähnlich vielleicht den jungen Bundeswehrsoldaten aus Mittenwald – auf einen Schädel. Ein Totengräber, der zufällig anwesend ist, klärt Hamlet auf, um wessen Schädel es sich handelt – um den des Yorick nämlich. Hamlet beugt sich, erhebt den Schädel und nach kurzer Betrachtung bekundet er: „Ach, armer Yorick, ich kannte ihn, Horatio.“ Ein schlichter, existenzphilosophischer Moment. Heute hätte Horatio sein Fotohandy gezückt, um diese Szene bildlich zu verewigen.
Das altskandinavische „skol“ bedeutete ebenfalls „Schädel“ und zugleich „Trinkschale“ und ist mit der deutschen „Schale“ etymologisch verwandt. Es heißt so, weil der Schädel des getöteten Feindes umgehend in ein Trinkgefäß umfunktioniert wurde. Bis heute sagt man in den skandinavischen Sprachen „Skol!“ als Trinkspruch. Na Prost!
Ein Schädel ist lediglich ein Skelettteil. Doch schon unsere Ahnen aus der Vorgeschichte räumten ihm einen besonderen Stellenwert ein. Nicht nur war er die Behausung vieler Wahrnehmungsorgane, auf ihm haftete auch das Gesicht, das Erkennungsmerkmal schlechthin der menschlichen Persönlichkeit. (Latein „Persona“ bedeutet übrigens „Maske“). Klar, dass man aus dem Schädel gerne eine Trophäe machte.
Die große Ironie: Ohne Fleisch und Haut sehen alle Menschen gleich aus. Soll man sich wundern, dass dieser Gegenstand, einst mangels Alternativen unserer Vorfahren wohl „Gefäß“ genannt, bis heute ein starkes Symbol für alles Menschliche geblieben ist?
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