"Rosinenpickerei“. So heißt ein Kommentar von Roger Köppel, Chefredakteur der Schweizer „Weltwoche“. Es geht in diesem Text um den ehemaligen deutschen Finanzminister Hans Eichel, heute EU-Politiker in Brüssel. Köppel bezichtigt Eichel des "Schweizbashing“.
"Schweizbashng“? Bin ich froh, dass ich englischer Muttersprachler bin, sonst würde ich sicherlich kein Neudeutsch verstehen!. "To bash“ bedeutet auf Englisch "draufschlagen/hauen“ oder "verprügeln“. Im Neuenglischen trägt es auch die Nebenbedeutung "jemanden als Prügelknaben traktieren“. "Schweizbashing“ heißt also "Auf-die-Schweiz- drauf-loshauen“.
Eichel habe die Schweiz als "unsolidarisch, undankbar, ein Rosinenpicker, ein schlechter Nachbar“ bezeichnet, so Köppel, und betreibt selbst in seinem Artikel eine Demontage Eichels, die man sicherlich "Eichelbashing“ nennen darf.
Doch mein Anliegen heute hat weder mit dem "Schweiz-“ noch mit dem "Eichelbashing“ zu tun. Mich interessiert vielmehr der Begriff "Rosinenpicker“, den Köppel verwendet, um eine "vorteilhafte Selektivität“ zu beschreiben. Ich wurde beim Lesen dieses Worts schnell hellhörig, weil es impliziert, dass die Rosine etwas Begehrenswertes sei. Mein erster Gedanke war: Wie sich die Zeiten verändert haben!
Ich sage dies, weil auch meine Söhne Jahre lang "Rosinenpicker“ waren. Sie pickten die Rosinen aus ihrem Müsli und warfen sie in meine Schüssel. Das Wort "Rosine“ war bei uns stets negativ belegt.
Der Begriff "Rosinenpicker“ sei – so Dr. Heinz Küpper ("Wörterbuch der deutschen Umgangsprache“) – seit ca. 1950 im Gebrauch. Küpper leitet ihn von einer Redewendung, die bereits im 19. Jahrhundert belegt sei, ab: „die Rosinen aus dem Kuchen picken“. Überhaupt scheint die bescheidene Rosine in den Idiomen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts Positives zu vermitteln. Zum Beispiel: „sich die Rosinen aus dem Lebenskuchen puhlen“ oder "jemandem Rosinen in den Kopf setzen“.
Man erkennt schnell: Solche Redewendungen spiegeln die Welt wider, als es noch keinen globalisierten Obsthandel gegeben hat. Sie werfen uns in eine Zeit zurück, als es im Winter nur noch die Rosinen und sonstiges Trockenobst (wie Aprikosen und Pflaumen) gegeben hat. (Auf dem Land lagerte man Äpfel und Birnen selbstverständlich im Keller). Kein Wunder, dass die Rosine als Leckerbissen galt – auch für Kinder.
Verwandt mit der "Rosinenpickerei“ ist – zumindest nach Obstsorte – das "Korinthenkacken“ – auch dieses Wort war im 19. Jahrhundert bereits im Gebrauch. Freilich geht es bei diesem Idiom nur um Rosinen im übertragenen Sinn – aber die sonst begehrliche "Rosine“ wird hier eindeutig negativ dargelegt. So vielseitig kann ein und dasselbe Wort sein. Anders ausgedrückt: Das "Korinthenkacken“ ist ein erster Beleg für etwas, das wir heute mit dem schnieken neudeutschen Begriff "Rosinenbashing“ ausdrücken könnten.
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