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Es lebe der Konjunktiv

Heute lehnt sich der Sprachbloggeur weit aus dem Fenster, um über eine Feinheit der deutschen Grammatik zu referieren: die indirekte Rede.

Normalerweise bin ich recht vorsichtig, meinen Senf dazu zu geben, wenn das Thema das Sprachgefühl eines Muttersprachlers erfordert. Ausländische Sprecher, wie ich einer bin, stoßen immer wieder an die Grenzen des eigenen Übermuts, wenn wir so tun, als hätten wir die letzten Geheimnisse der Fremdsprache – in diesem Fall des Deutschen – gelüftet. Doch es geht heute um etwas in eigener Sache.

Genauer gesagt: Es handelt sich um einen Satz über das Bienensterben, den ich im letzten Blog geschrieben habe. Ich zitiere: "Einem Artikel der englischen Zeitung 'The Independent’ zufolge, seien 70% der Völker an der US-Westküste und 60% an der Ostküste auf dieser Weise bereits verschollen. Nun breite sich das tückische Syndrom peu à peu in Europa aus.“ usw.

Ernst Theo, ehemaliger Lektor und wahrer Kenner der deutschen Sprache, schickte mir postwendend eine Mail, nachdem er obigen Satz gelesen hatte, in der er mir folgenden Ratschlag erteilte: "Nach 'zufolge’ sollte der Indikativ stehen.“ Üblicherweise folge ich seinen Änderungsvorschlägen bedingungslos. Er hat wirklich ein feines Gefühl für seine Muttersprache. Doch diesmal blieb ich stur. Ich war überzeugt, dass ich die Voraussetzungen erfüllt hatte, die für den Gebrauch des Konjunktivs erforderlich sind. Immerhin soll der Konjunktiv in Zusammenhang mit der indirekten Rede auf die Möglichkeit einer irrealen Situation hinweisen. Ich wollte durch den Gebrauch des Konjunktivs betonen, dass ich den Inhalt meines Zitats aus der "Independent“ durchaus als Hörensagen erachtete.

Nach Erhalt Ernst Theos Mail schlug ich sogleich im "Duden – Richtiges und gutes Deutsch“ unter Schlagwort „Indirekte Rede“ nach. Und siehe da! Ich fand folgendes Beispiel, das meine Ansicht untermauerte: "Laut Aussage der Zeugen habe der Angeklagte an jenem Abend sehr nervös gewirkt.“ Auch hier deutet der Konjunktiv auf die Möglichkeit, dass die Aussage der Zeugen falsch sein könnte. Also habe ich wohl auch in meinem Fall doch allen Grund, den Konjunktiv einzusetzen.

Nächste Expertenbefragung: Textchef Bernd, auch ein Mensch mit einem feinen Gefühl für seine deutsche Mutterspräche, sähe in meinem Satz – ähnlich Ernst Theo – lieber den Indikativ. "Der Konjunktiv ist in deinem Satz zwar nicht ganz falsch“, sagte er mir in direkter Rede, "Der Allgemeinverständlichkeit zuliebe ziehe ich aber hier den Indikativ vor.“ Bernd fügte hinzu, er sei dem Konjunktiv auf keinen Fall abgeneigt, setze ihn aber lieber vorsichtig ein.

Karl hingegen, ein Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaftler, war ganz auf meiner Seite. Ihm zufolge ist der Text aus der "Independent“, den ich indirekt zitiert hatte, als "Referat“, als Bericht also, zu verstehen, dessen Wahrheitsgehalt ich letztendlich nicht nachweisen kann. Ein klarer Fall für den Konjunktiv, so Karl.

Was lerne ich von diesen Meinungsverschiedenheiten heraus? Ganz einfach: Die deutsche Sprache ist ein lebendiges Kommunikationsmittel, das von diversen zuverlässigen Experten unterschiedlich ausgelegt werden kann.

Doch ich habe durch diese kurze Untersuchung auch etwas ganz anders beherzigt: Der Konjunktiv ist offenbar zusehends aus der Mode gekommen. Allein aus diesem Grund wird er, meiner Meinung nach, von den Kennern so unterschiedlich bewertet und ausgelegt. Deshalb gedenke ich heute, schon wieder einen wichtigen Verein zu gründen: den "Es-lebe-der-Konjunktiv-Klub“. Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie Ihre Mitgliedsanträge einschickten.

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