Heute einmal ein paar Gedanken über "Paris“. Sie wissen schon, wen ich meine. Wenn man über ruhmreiche Menschen spricht (bzw. schreibt), pflegt man sie anhand eines intimen Kürzels auszuweisen: "Steffi“, "Joschka“, "Brad“, "Venus“, "Mathias“…
Mathias? Fällt Ihnen zu diesem Namen nichts ein? Die Rede ist natürlich von Mathias Rust. Ihnen noch immer kein Begriff? Gerade habe ich meine Söhne (16 und nahezu 18 Jahre alt) gefragt, ob ihnen dieser Name bekannt vorkomme. Beide verneinten, was mich nicht weiter überraschte. Man müßte eigentlich mindestens dreißig – besser, fünfunddreißig – sein, um mit dem Namen etwas anfangen zu können.
Am 28. Mai 1987 ist Mathias Rust – damals knapp 19jährig – mit einer kleinen Cessna in den sowjetischen Luftraum eingedrungen – ohne von der dortigen Flugabwehr abgefangen zu werden. Sein Flugzeug wurde auf den Radarschirmen des sowjetischen Militärs nicht einmal gesichtet! – eine riesige Blamage für die UdSSR. Rust konnte guter Dinge am Roten Platz landen. Natürlich wurde ihm der Prozess gemacht. Er erhielt vier Jahre Arbeitslager, kam allerdings im nächsten Jahr wieder frei.
Allein der Name „Mathias“ reichte, und jeder wusste damals, wer gemeint war. Seit Jahren ist es allerdings sehr still um diesen „Helden“ geworden. Wer mehr über ihn erfahren möchte, findet genügend zum Thema im Internet.
Ja, das mit dem Ruhm ist eine heikle Sache, besser gesagt, eine seltsame Sache: Ein Eigenname wird – meistens für nur kurze Zeit – zu einem Sprachbegriff. Der Mensch also als Wort. Jeder kennt das berühmte "bon mot“ Andy Warhols über die "fifteen minutes of fame“, die fünfzehn ruhmreichen Minuten, die jedem künftig zugeteilt werden. (Übrigens: Nach meinem Gedächtnis hat Andy Warhol diesen Spruch nicht so artikuliert, wie er heute überliefert wird. Zufälligerweise kann ich mich noch immer ans erste Mal erinnern, als ich von den „fünfzehn Minuten“ gehört hatte. Es war Ende 1973 oder vielleicht Anfang 1974. Ich lebte damals in San Franzisko und hörte gerade Radio. Der Sprecher sagte Folgendes: "Nach Ansicht des Künstlers Andy Warhol wird jeder Mensch bis 1974 für mindestens fünfzehn Minuten berühmt sein.“)
Warhol machte diese witzige Bemerkung, weil das Radio und das Fernsehen damals mit der Unsitte begonnen hatten, Menschen, die etwas „erlebt“ hatten, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Damit wurden die Nachrichtensendungen zunehmend zu Unterhaltungsveranstaltungen – sie sind es bis heute geblieben.
Doch ich wollte heute eigentlich über "Paris“ ein wenig sinnieren, einen Menschen, den man momentan, wie einst "Mathias“, allein mittels eines Vornamens als "Begriff“ versteht. Leider fällt mir zu "Paris“ aber nichts Wichtiges ein – außer vielleicht eins: Heute wurde im Fernsehen und in den Zeitungen den Gewinner des diesjährigen Wettbewerbs "Das bedrohte Wort" durchgesagt. Der Sieger heißt "Kleinod“. Ich selbst bin nicht ganz überzeugt, das "Kleinod“ wirklich ein bedrohtes Wort ist. Dies nur nebenbei. Ich benutze es häufig und gerne und kann mir vorstellen, dass auch die Werbung die Vorteile des "Kleinods“ wiederentdecken wird. Erst gestern las ich das Wort in der "Münchener Abendzeitung“. Es wurde ganz normal in einem Satz gebraucht und sah weniger bedroht aus als ein Thunfisch.
Der Gedanke an "bedrohte Wörter“ brachte mich aber auf "Paris“ zurück. Mein Fazit: Das "Kleinod“ wird ewig ein Kleinod der Sprache bleiben. "Paris“ hingegen wird vielleicht aufhören, als Schlagwort zu dienen. Dafür werden wir mit dem Namen auch künftig zu tun haben: allerdings nur als Eigennamen, wie es sich gehört, Eigennamen einer sehr erfolgreichen, erwachsenen Geschäftsfrau.
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