Wissen Sie, was ein „flogger“ ist?
Ich habe zunächst ans „Auspeitschen“ – die Bedeutung von „to flog“ auf Englisch – gedacht, als ich dieses Wort am Wochenende in der Überschrift eines Artikels in der International Herald Tribune (14. März) entdeckte.
Irrtum. Im Zeitalter der „Blogs“ – also „Web logs“ – sollte man wissen, dass jede Vokabel, in der man die Buchstabenkombination „log“ findet, einen Bezug zum Internet haben muss. Kein Flagellantenverein also die „Flogger“ und „Floggerinnen“. Es sind „Fotoblogger“.
Genauer gesagt: „Flogger“ nennen sich Jugendliche – vorwiegend in Argentinien und in Chile – die eifrig unter sich Fotos austauschen. Triebfeder dieses schnellwachsenden Phänomens ist eine gewisse Augustina Vivero. Sie ist 17 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie im Arbeiterviertel San Cristobal in Buenos Aires.
Vor einem Jahr – so Autor Alexei Barrionuevo – pflegte sich Augustina mit ihren vielen Freund(inn)en bei sich zuhause zu treffen, um sich gegenseitig Fotos zu zeigen. Als die Gruppe Zuwachs bekam, verlegten die Jugendlichen ihre Zusammenkünfte in ein großes Einkaufszentrum. Sie zählten nunmehr etwa einhundert Fotofans. Innerhalb weniger Wochen ist ihre Zahl auf 2000 geklettert.
Die Ladenbesitzer im Einkaufszentrum fühlten sich von den aufgepeitschten Jugendlichen gestört und schalteten die Polizei ein. Schnell kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen mit den Ordnungshütern. Klar, dass die Fernsehjournalisten eintrafen, um den ganzen Trubel fürs TV-Publikum zu verewigen. Die vife Augustina Vivero wurde rasch als Interviewpartnerin herbeigerufen und alsbald zum Superstar befördert – zumindest in Argentinien und Chile.
Nun sind die „Flogger“ der letzte Schrei in Südamerika geworden, auch wenn sie bei uns kaum bekannt sind. „Flogger möchten die Welt nicht verändern“, schreibt Maria José Hooft, Autorin einer Studie über Jugendkulturen in Argentinien, „Sie möchten überleben, und sie möchten sich austoben, so gut es geht.“ Selbstdarstellerin Augustina, die sich mittlerweile zu einer gut verdienenden Unternehmerin gemausert hat, macht keinen Hehl aus ihrer Homosexualität. Inzwischen will sie das öffentliche Bewusstsein für Aids erweitern – keine Selbstverständlichkeit im machohaften Lateinamerika. Überhaupt wird das Androgynseindürfen von den „Floggern“ zu einer ideologischen Sache erhoben. Leben und leben lassen. Augustina bleibt die Mutter Courage.
Mittlerweile sind die „Flogger“ mit einer eigenen Musikrichtung bestückt. Sie heißt „Cumbio“ und stellt eine Mischung aus lateinamerikanischem Pop und Salsa dar. Ihre bunten Kleider sind längst zu einer Art Uniform geworden. Man macht sich gerne ungekünstelt sichtbar. Und die Fotos. Man darf sie partout nicht vergessen. Denn mit Fotos hat alles eigentlich begonnen. Bei der Fotoplattform fotolog.com finden Sie reichlich Schnappschüsse von Augustina und ihren Leuten.
Schwappt die „Flogger“-Bewegung nach Deutschland über? Sind die hiesigen 13jährigen, die noch eifrig und mit unschuldigem Blick Lego-Roboter basteln und Barbies ankleiden, die „Flogger“ von morgen? Sehen Goths, Emos usw. bald so alt aus wie 68er? Bei den „Floggern“ handelt es sich wahrhaftig um eine Strömung des 21. Jahrhunderts. Denn bei dieser Subkultur ist die virtuelle (sprich Internet-) Präsenz ebenso wesentlich wie die bunte Straßenerscheinung.
Ist das neue Zeitalter schon angebrochen, ohne dass dies überhaupt aufgefallen wäre? Wäre ohnehin nicht das erste Mal. Ach ja: Ich darf die anderen „Flogger“ nicht unerwähnt lassen. Das sind die „Foodblogger“. Mal sehen, ob zwei Gruppen mit gleichem Namen friedlich nebeneinander existieren können.
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