Ich erinnere mich an ihn noch genau. Er hieß Peter und war Deutscher oder Schweizer. Seine Brille war rund wie ein Vollmond, und er trug eine kurze Hose. Vielleicht eine Lederhose.
Wir standen in der Schulbibliothek – die ganze Klasse – um gegen Kinderlähmung geimpft zu werden.
Notabene: Dies geschah in einem anderen Jahrtausend und in der viel mythologisierten Bronx USA. Vielleicht waren wir sieben oder acht Jahre alt.
Das Ereignis, woran ich denke, fand entweder vor oder nach der Impfung statt. Auf einmal fällt Peter wie ein wackliger Turm nach vorne und ist ohnmächtig geworden. Er knallte mit dem Gesicht auf den Boden. Die Vollmondbrille ging zu Bruch, und Peter war – zumindest kurz – fern dieser Welt.
Es war das einzige Mal, dass ich erlebt hatte, wie jemand ohnmächtig wurde. Er ist nicht in sich zusammengesunken. Er stürzte glatt nach vorne.
Der kleine Peter ist mir aber auch aus anderen Gründen in Erinnerung geblieben. Denn er kam ohne Englischkenntnisse in die Grundschulklasse. Nach wenigen Monaten beherrschte er meine Muttersprache allerdings perfekt.
Zufällig habe ich neulich im Spiegelonline über eine Studie der Universität Halle-Wittenberg gelesen. Es ging um den Spracherwerb bei Flüchtlingskindern.
Ach! Entschuldigung! Ich hätte eigentlich „junge Geflüchtete“ schreiben müssen. Die Medien bedienen sich gern der inklusiven Sprache. Man hofft wohl dadurch, dass eines Tages aus jungen inkludierten Geflüchteten mal junge Studierende werden.
Die oben erwähnte Studie lässt allerdings bezweifeln, ob dies jemals möglich sein wird.
Denn nun haben die Wissenschaftler festgestellt, dass die sog. „Willkommensklassen“, in denen Flüchtlingskinder intensiv Deutsch büffeln, untauglich seien, um Deutsch zu lernen.
Im Ernst.
Denn was ist eine „Willkommensklasse“ überhaupt? Antwort: Lauter Ausländerkinder hocken zusammen in einer Gruppe und werden zwangsangedeutscht.
Viel schneller und besser – so die Studie – lernen solche Kinder die Fremdsprache – in diesem Fall Deutsch – wenn sie direkt in die Regelklasse eingeschult werden.
Irgendwie logisch…oder? Denn in der Regelklasse reden alle Kinder und die Lehrer Deutsch. Der kleine Flüchtling saugt die Sprache geschwind auf. So wie der kleine Peter, der damals in Ohnmacht fiel.
Fakt ist: Kinder schnappen mühelos Fremdsprachen auf – vor allem in der Gesellschaft anderen Kinder, die diese Fremdsprache unentwegt plappern.
Ich habe das gleiche mal auch bei einem ungarischen Flüchtlingsbuben erlebt. Er war allerdings etwas älter als derzeit Peter. Sein Englisch war bald perfekt – nicht aber akzentfrei. Dafür gab es einen guten Grund.
Beispiel Henry Kissinger und sein Bruder Walter. Sie flüchteten
mit Familie in den 1930er Jahren in die USA. Henry war bereits in der Pubertät, Walter nicht. Henry sprach Englisch bald perfekt – aber stets mit Akzent. Walters Englisch war akzentfrei. Nebenbei: Auch der Sprachbloggeur spricht Deutsch mit Akzent.
Die Pubertät. Darum geht es. Vor der Pubertät bleibt das Menschenhirn biegsamer als danach.
Dennoch sollten wir den Wissenschaftlern der Uni Halle-Wittenberg dankbar sein. Sie haben etwas wiederentdeckt, dass früher allgemein bekannt war.
Hören Sie, Ausländeramt? Oder wie auch immer man sie heute nennt…
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