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Sind Sie cringe?

Habe ich nicht mal über „cringe“ geschrieben? Ich glaube doch. Wenn schon, dürfte es 2021 gewesen sein, als diese Vokabel den Jugendsprache-Goldenen Bär einheimste.

Besserwisserischer wie erwachsenen Menschen sind, bin ich wahrscheinlich davon ausgegangen, dass dieses Wort, das damals auf allen jungen Zungen tönte, zu den sprachlichen Eintagsfliegen zählen würde, um bald den Doktoranden der Sprachwissenschaft als Kuriositäten seziert zu werden, damit sie lange Dissertationen schreiben könnten, um endlich mit dem Doktortitel zu brüsten.

Ich habe mich getäuscht.

Ich komme auf dieses Thema nur deshalb, weil ich gestern etwas flüchtig im Radio vernommen habe: irgendwas über junge Leute heute. Vielleicht hatte es mit Geld zu tun. Bafög oder so. Ich kann mich leider nicht mehr erinnern.

Wie dem auch sei. Ein junger Mensch erzählte etwas jedenfalls; die Worte flutschten rasend schnell und leidenschaftlich von der Zunge. Vielleicht ging es um etwas, das die „Alten“ nicht verstehen könnten, weil sie alt sind.

Letztendlich aber ist mir lediglich der Gebrauch des Wortes „cringe“ in Erinnerung geblieben. Ich hab gedacht: „Cringe“! Aha! Ja, der Jugendwortpreisträger von 2021 ist noch am Leben! Schau, schau! Na so was!

Nebenbei: „Cringe“ gebraucht man sowohl als Verb wie auch als Adjektiv. Vielleicht auch als Nomen. Der Sprecher hat jedenfalls die Qual des Wals.

Auch wenn „cringe“ (zumindest auf Deutsch) allein als Jugendwort bekannt ist, handelt es sich hier um ein ganz normales englisches Wort, das „zusammenzucken“ oder „erschaudern“ bedeutet. In diesem Fall zuckt man zusammen, weil einem etwas bzw. jemand peinlich ist. Man könnte das Wort mit „fremdschämen“ übersetzen.

Und so wird „cringe“ in der Jugendsprache verwendet. Etwa: „Das ist echt cringe“ (bzw. „cringy“).

Jetzt Historisches: „Cringe“ – genauer gesagt „cringan“ – ist eine angelsächsische Vokabel und bedeutete ursprünglich „im Kampf fallen“ oder „zusammenzucken vor Angst“. Sie sehen: Der Sinn hat sich nicht allzu sehr verändert. Ach ja: Das dt. „Kringel“ ist damit verwandt. Der „Cringer“ biegt sich kreisartig zusammen.

Ich denke aber, dass „cringe“ heute einen Tick ironischer gebraucht wird als in 2021. Man sagt: „Man, ist das cringe“, und meint damit: Das ist so absolut peinlich, dass es irgendwie interessant und lustig ist“. Im 2021 war „cringe“ ausschließlich negativ besetzt.

So eine Sinnwandlung geschieht mit Wörtern, wenn sie in der Popkultur einschlagen. Ich meine: Peu à peu benutzt man sie mit Ironie.

Jedenfalls, liebe Cringe-Freunde (und Freundinnen), darf ich gratulieren! Dieses Wort hat bereits fünf Jahre (wenn nicht länger) als Begriff der Jugendsprache überlebt.

Doch Obacht! Nach fünf Jahren fängt auch Jugendwörter alt auszusehen.
Ich denke an „cool“. Diese Vokabel gibt es in der Popsprache seit den 1930er Jahren. Allmählich klingt es gar nicht so cool. Es ist vielleicht sogar ein wenig cringe geworden.

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