You are here

Aufstand der Bücher oder: Warum ich letzte Woche keine Glosse geschrieben habe…

Ich kenne seinen Namen nicht mehr – schon lange nicht. Ich weiß auch nicht, wie er aussah. Nur Folgendes ist mir in Erinnerung geblieben:

Wir stiegen gemeinsam aus der Münchener U-Bahn aus – tief im Gespräch. Vielleicht war es U-Bahnhaltestelle Universität…oder vielleicht nicht. Er erzählte von seinem Theologie-Studium und vom Professor, der neulich über das Revolutionäre im Buch Genesis berichtet hatte.

„Die Babylonier“, so habe der Professor erklärt, „behaupteten, dass am Anfang Himmel und Erde die Götter schufen. In Genesis lese man hingegen: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde!“ Mit anderen Worten: Der Anfang des Buches Genesis war möglicherweise eine absichtliche Polemik gegen die babylonische Theologie.

Wie dieser Professor hieß, ist mir ebenso unbekannt wie irgendwelche identifizierenden Faktoren über meinen Gesprächspartner. Ist aber egal. Fest steht: Seit diesem Tag bleibt mir diese Idee unvergessen. Nirgends habe ich sie sonst gelesen oder erfahren.

Und jetzt wissen auch Sie sie.

Wieso erzähle ich diese Anekdote? Keine Ahnung. Eigentlich wollte ich hier ein anderes Thema ansprechen: das Chaos, eine griechische Vokabel, die übrigens sprachlich mit dem deutschen „gähnen“ verwandt ist und ursprünglich ein weit offenes Nichts bedeutete.

Für den griechischen Dichter Hesiod, der im ca. 8. v.Chr. Jh. gelebt hat, war am Anfang das Chaos. Klingt etwas anders als die Schöpfungsgeschichte der Hebräer und Babylonier. Viel mehr wissen wir allerdings über diese Kraft – oder was auch immer es war – nicht.

Chaos. Am Montag, dem 1. April erlebte ich es vollends. Ja, ich hatte meinen Chaosmoment. Und wie.

Es geschah um ca. 17h. Ich saß am Schreibtisch, genau da, wo ich momentan diese Sätze schreibe. Plötzlich vernahm ich ein ungewohntes Geräusch – als ob sich etwas Kleines irgendwo heruntergefallen war. In meiner schöpferischen Unordnung wäre das durchaus möglich. Zunächst habe ich das Geräusch ignoriert und machte einfach weiter.

Und nun fragte ich mich: Was war das für ein Geräusch? Ich stand auf und schaute auf der anderen Seite meines Schreibtisches, falls etwas runtergefallen war. Ich konnte aber nichts feststellen. Dann bin ich – irgendwie automatisch – zu meiner Bücherwand, d.h. zu den vier ineinander verhakten Holzregalen links vom Schreibtisch gegangen, um dort nach der Ursache des Klackses zu suchen. Ich bückte mich und schaute hinters doppelreihig mit Büchern verpackte Regal. Ich erspähte ein Buch, das irgendwie zwischen Regal und Wand hängengeblieben zu sein schien – aha! – und entfernte es sachte.

In dem Augenblick hörte ich einen lauten Rumps – wie das Gähnen einer Gottheit. Ich stand auf und schaute nun zu, wie sich von links nach rechts meine Regale der Reihe nach von der Wand lösten. Es schien alles in Zeitlupe zu geschehen. Bücher flogen kunterbunt durchs Zimmer. Irgendwie – so habe es jedenfalls in Erinnerung – stand ich aber nicht mehr neben dem Regal, sondern weit aus der Schusslinie. Ca. 1500 Bücher – keine Ahnung, ob die Zahl stimmt – lagen auf einmal wie Schnee nach der Lawine im Zimmer da. Stille. Große Stille.

Meine erste Reaktion war Schock. Was sonst? Darauf folgte ein Gedanke direkt aus Rilke: „Du musst dein Leben ändern“. Als Drittes fiel mir ein, dass meine Mandoline, die ich neben meinem Schreibtisch lagere, damit ich nach Belieben spielen kann, unter den vielen Büchern war. Mir war meine Mandoline in dem Moment mein teuerster Besitz. Vielleicht ist sie mein teuerster Besitz. Nebenbei. Am nächsten Tage habe ich sie heil ausgegraben.

Tja. Ich habe Ihnen nun den Anfang einer Geschichte erzählt, eine Geschichte über Bücher, über einen Bücheraufstand. Mit Sicherheit hat sie eine tiefe Bedeutung. Es gibt gewiss mehr über dieses Thema zu erzählen. Zum Beispiel, was geschieht, wenn man sich nach so einer Katastrophe von manchen Büchern trennen will – denn das tue ich gerade: mich von so viel Wissen trennen, das auch so viel Geld gekostet hat. Doch vielleicht mehr darüber später.

Jedenfalls, jetzt wissen Sie auch, warum ich letzte Woche keine Glosse geschrieben habe.

Add new comment

Filtered HTML

  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Allowed HTML tags: <a> <p> <span> <div> <h1> <h2> <h3> <h4> <h5> <h6> <img> <map> <area> <hr> <br> <br /> <ul> <ol> <li> <dl> <dt> <dd> <table> <tr> <td> <em> <b> <u> <i> <strong> <font> <del> <ins> <sub> <sup> <quote> <blockquote> <pre> <address> <code> <cite> <embed> <object> <param> <strike> <caption>

Plain text

  • No HTML tags allowed.
  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Lines and paragraphs break automatically.
CAPTCHA
This question is for testing whether you are a human visitor and to prevent automated spam submissions.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.